Eine Richterin muß mitentscheiden

■ Zürcher Kantonsparlament entschied: In jedem Vergewaltigungsprozeß muß eine Richterin dabeisein

Zürich/Berlin (taz) — Ein Vergewaltigungsprozeß, in dem nur Männer richten — das soll im Schweizer Kanton Zürich künftig der Vergangenheit angehören. Vergewaltigte Frauen dürfen an den elf Bezirksgerichten schon bald auf das Einfühlungsvermögen einer Richterin zählen. Das Kantonsparlament stimmte Anfang dieser Woche mit großer Mehrheit einer Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes zu. Danach wird bei der „Beurteilung von Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit das Gericht mit Mitgliedern beider Geschlechter besetzt“. Den Antrag hatten die Zürcher Kantonsrätinnen Diana Hornung von der Grünen Partei und Regina Aeppli von den Sozialdemokraten eingebracht. „Die Angst der Vergewaltigungsopfer vor Erniedrigung und Bloßstellung ließe sich entscheidend reduzieren, wenn im Richtergremium mindestens eine Frau säße, die sich in die Gefühlslage des Opfers einfühlen kann“, begründete Regina Aeppli den Antrag.

Dagegen sprachen sich nur die Männer der bürgerlichen Parteien aus. Ihnen bereite es Mühe, zugunsten einer Bevölkerungsgruppe gesetzlich Einfluß auf die Gerichtszusammensetzung zu nehmen. Bei der namentlichen Abstimmung zeigten sich dann die Frauen der bürgerlich- konservativen Parteien couragiert und unterstützten die Gesetzesänderung ohne Ausnahme. Der Beschluß gelangt voraussichtlich nächstes Jahr zur Volksabstimmung. Betroffen sind zunächst die elf (erstinstanzlichen) Bezirksgerichte des Kantons. Bei neun Gerichten soll die Besetzung keine Schwierigkeiten bereiten, nur für zwei Bezirke müssen Ersatzrichterinnen gefunden werden. Anders bei den (zweitinstanzlichen) Obergerichten. Hier wurde aus „Machbarkeitsgründen“ vorerst verzichtet. Eine Mitarbeiterin des Zürcher „Nottelefons für vergewaltigte Frauen“ nannte die Entscheidung eine „begrüßenswerte Neuerung“, der allerdings weitere Schritte, so eine Reform des Sexualstrafrechts, folgen müßten. Ferner sollten bei Vergewaltigungen Sonderdezernate mit weiblichen Staatsanwälten eingerichtet werden.

Auslöser der Entscheidung ist ein Urteil des Schweizer Bundesgerichts von Ende Oktober, das von weiten Teilen der Schweizer Öffentlichkeit als Skandal empfunden worden war. Die Bundesrichter hatten es vom Widerstand des Opfers abhängig gemacht, ob ein Vergewaltiger wegen „einfacher Notzucht“ oder der strenger bestraften „qualifizierten Notzucht“ bestraft werde. Dazu müsse die Frau zudem in einen Zustand der „vollständigen Widerstandsunfähigkeit“ versetzt worden sein. Feministinnen hatten das Urteil als „absurde Konstruktion“ kritisiert, da das Strafmaß vom Verhalten des Opfers und nicht vom Verhalten des Täters abhängig gemacht werde. Helga Lukoschat