„Die Justiz steckt im Geheimdienstsumpf mit drin“

■ Wolfgang Wieland, Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsverein, zur Bespitzelung von Rechtsanwälten INTERVIEW

taz: Wie jetzt bekannt wurde, hat der Berliner Verfassungsschutz zwischen 1972 und 1983 über 200 Rechtsanwälte und Referendare in seinen Unterlagen erfaßt. Überrascht Sie das?

Wolfgang Wieland: Der Umfang der Bespitzelung durch das Berliner Landesamt läßt einen jedesmal aufs neue erschrecken. Was mich darüber hinaus empört, ist die fehlende Bereitschaft der Justiz, bei der Aufklärung mitzuhelfen. Wir hatten in Berlin den unglaublichen Umstand, daß eine Sachbearbeiterin, die für die Referendarsausbildung zuständig war, die Referendare, die bei bestimmten Anwälten ihre Ausbildung machten, an das Landesamt verpfiffen hat. Bis heute wurde von Seiten der Kammergerichtspräsidentin oder ihrer Vorgänger nicht mitgeteilt, wie diese Sachbearbeiterin dazu kam, ob sie das mit oder ohne Anweisung gemacht hat und ob sie selbst eine Mitarbeiterin des Landesamtes war.

Erfaßt wurden Anwälte von der Berliner Mieterinitiative bis hin zu denen, die von der Roten Hilfe in ihren Broschüren empfohlen wurden. Hat das für die Verantwortlichen heute noch Folgen?

Das fordern wir. Es reicht nicht aus, wenn der Innensenator sagt, das sind alles erschreckende Vorgänge, die in der Vergangenheit liegen. Für die Mitarbeiter des Landesamtes, die geradezu systematisch in den Bereich anwaltschaftlicher Tätigkeiten eingedrungen sind, müssen sich personelle Konsequenzen ergeben.

Am Beispiel des Schmücker-Prozesses wird deutlich, daß der Verfassungsschutz Gerichtsverfahren gezielt gesteuert hat. Muß man das auch in anderen Prozessen befürchten?

Nichts spricht dafür, daß der Verfassungsschutz nur in den Schmücker-Komplex involviert ist. Beim Schmücker-Verfahren hat er zu erkennen gegeben, daß ihm die geschützte Vertrauenssphäre der Anwälte in keiner Weise achtenswert und „sakrosankt“ ist. Die Justiz steckt in dem Geheimdienstsumpf mit drin. Das Landesamt müßte jetzt offenlegen, ob Rechtsanwälte auch als Mitarbeiter des Verfassungschutzes gearbeitet haben oder als solche gewonnen wurden.

Innensenator Pätzold hat angeführt, daß eine Speicherung zulässig wäre, wenn Anhaltspunkte für die Unterstützung einer extremistischen Vereinigung vorliegen.

Um es höflich zu formulieren: Das ist eine sehr, sehr mißverständliche Äußerung gewesen. Es geht darum, daß die legale, im Rechtsstaat unabdingbare Verteidigertätigkeit als Anknüpfungsmerkmal dazu geführt hat, daß überwacht und gespeichert wurde. Wir müssen befürchten, daß nicht nur in einem Anwaltsbüro Zuträger des Verfassungsschutzes gearbeitet haben. Das Landesamt muß jetzt schleunigst den ganzen Komplex offenbaren und die Unterlagen auf den Tisch legen. Interview: Wolfgang Gast