Beifall für den Liquidator

■ Die Belegschaft des Dresdner Kameraproduzenten Pentacon sieht für sich keine Perspektiven

„Noch zwei Wochen haben wir Arbeit, dann ist Schluß“, weiß Helga Bööck aus der Bx-20-Montage. Von den knapp 5.000 Leuten, die noch bei Pentacon arbeiten, sind 1.500 zwischen 46 und 55 Jahren alt. „Glauben Sie, daß die noch etwas finden, noch irgendwie Chancen haben bis zur Rente?“

Die Frauen aus der Montagebrigade stehen im Foyer des Dresdner Kulturpalastes um einen Aschenbecher versammelt. Sie kommen sich irgendwie deplaziert vor, hier, im großen Festsaal — nur, um zu hören, wie es zu Ende geht mit ihrem Pentacon. Meisterin Irmgard Janepz meint: „Unsere Geschäftsleitung hat sich zu einseitig auf die Kameraproduktion verlassen.“

Ihre Interessen seien nicht gerade gut vertreten worden, bestätigen die Frauen. Am 2. Oktober erfuhr die Belegschaft, daß die Treuhand dem Konzept, einen Großteil des Betriebes mit einer modernisierten Kameraproduktion, einem neuen Marketing und der Voest-Alpine AG als Partnerin zu retten, keine Chance einräumt — das Aus für Pentacon und die deutsche Spiegelreflex-Produktion (taz berichtete). „Wir hätten auch Fahrräder hergestellt“, vermag die Meisterin noch zu scherzen. Ihr Schicksal steht stellvertretend für den Betrieb im Osten der Stadt. Auch Ehemann, Tochter und Sohn werden bis Jahresende ihre Arbeit verlieren. 39 Jahre lang hat Frau Janepz bei Pentacon gearbeitet — wie die meisten ihrer KollegInnen.

Die im Foyer verteilten Handzettel des Zentrums für Aus- und Weiterbildung Dresden kann bei den Frauen nur ein müdes Lächeln hervorlocken. Wenn auch die Offerte des Bildungszentrums, eines Gemeinschaftsunternehmens von Pentacon und den größten westlichen privaten Wirtschaftsschulen, keine Altersgrenze festlegt, schätzen die Kolleginnen ihre Chancen, „den eigenen Marktwert zu erhöhen“, nüchtern ein. „Ich sehe für mich keine Perspektiven“, gesteht Helga Bööck.

Der Pentacon-Betriebsrat hatte in den Dresdner Kulturpalast eingeladen, um möglichst vielen KollegInnen Informationen aus erster Hand zu ermöglichen. Rainer Pfaff schätzt die Situation „etwas optimistischer“ ein. Leider erschöpft sich der Zweckoptimismus des Betriebsrats im Prinzip Hoffnung. Eine vielversprechende Abfindungsformel, wonach jeder Kollege und jede Kollegin für jedes Beschäftigungsjahr ein halbes Monatsgehalt ausgezahlt bekommen soll, läßt die Belegschaft zugleich aufrauschen und abwinken; wer soll denn das bezahlen. Bisher ist nicht einmal die Zahlung der von der Gewerkschaft ausgehandelten Zulage zum Kurzarbeitergeld auf neunzig Prozent des Nettolohnes gesichert.

Mit Beifall begleiten die Pentaconer den Heidelberger Rechtsanwalt Dr. Johst Wollensieck, ihren Liquidator, zum Pult. Er kontert die gewerkschaftlichen Zahlenspiele mit den kühlen Berechnungen der Treuhand. Pentacon war pleite und somit reif für ein Konkursverfahren. So etwas schickt sich aber nicht vor den Wahlen.

Die Treuhand habe „aufgrund des politischen Drucks Voraussetzungen geschaffen, nicht das Konkursverfahren, sondern eine Liquidation einzuleiten“. Den sanfteren Weg also. „Wenn wir das nicht schaffen, dann kann stündlich der Konkurs vollzogen werden“, kündigt der Liquidator an. Der Konkurs hätte die sofortige Arbeitslosigkeit zur Folge. So fühlt sich die Belegschaft durchaus in einem Boot mit dem Treuhand- Beauftragten.

Ein Darlehen von 20 Millionen Mark erlaubt, den Geschäftsbetrieb vorerst fortzusetzen. Die nächste Hürde ist die Gläubigerversammlung am 9. November. Wenn dieses Gremium auf Rückzahlungen aus der Pentacon-Kasse verzichtet, „dann bleibt bis Ende des Jahres Gelegenheit, Voraussetzungen für die Zukunft zu schaffen“. Schließlich weist Wollensieck noch auf einen Silberstreif am Horizont. Wenn nicht alle Stricke reißen, muß die Kameraproduktion doch nicht eingehen. Ein Interessent habe sich gemeldet. Nun werde geprüft.

Im Foyer erinnern sich einige KollegInnen an die Modelle der Unternehmensberater, die im Sommer noch auf eine Zukunft der Pentacon GmbH gesetzt hatten. Damals hieß es, die Kosten für Abfindungen, Arbeitslosengeld und Folgeinvestitionen, die aus einem Liquidationsverfahren entstünden, könnten auch sinnvoll in die Sanierung des Unternehmens und in eine vorläufige Subventionierung gesteckt werden. Professor Biedenkopf, vom Betriebsrat eingeladen, hatte sich entschuldigen lassen.

Dabei hätte der Ministerpräsident zu seinem angekündigten Vorstoß zu einer dezentralisierten Länder-Treuhand sicher den größten Beifall im Festsaal erhalten. Die rote Karte für den ehemals „zentralgeleiteten“ Betrieb kam aus Berlin. Für die Belegschaft ist das die „Fortsetzung des Zentralismus mit ähnlichen Mitteln“. Detlev Krell, Dresden