Einheits-Donnerwetter

■ Erich Kuby las in der Neustadt-Bücherei aus seinem neuen Buch „Der Preis der Einheit“

Es gibt ein Wetter, da läßt man bekanntlich die Hunde besser im Haus. In das Sprachgewitter, das Erich Kuby am Dienstag Abend in der Neustadt-Bücherei niederdonnern ließ, hätte man mit Freude alle Einheitsbellos, Christdemokraten, Sozis und Liberalen schicken dürfen. „Der Preis der Einheit“, den Kuby in bekannt pointierten Provokationen in Aussicht stellte, hätte vielleicht auch die weitgehend schwanzwedelnde Linke aus ihrer Apathie gerissen.

Der Achtzigjährige analysierte frisch und streitbar das politische Hundewetter: Noch nie seien die Deutschen von einer Regierung so belogen worden wie von der Regierung Kohl. Der brutale Anschluß der DDR, der historisch nur mit dem Einmarsch in Österreich 1938 vergleichbar sei, weise auf das Verhalten, mit dem der künftige Großstaat demnächst seine Interessen wahrnehmen werde. Bis 1989 sei die Bundesrepublik nur „eine industrielle AG mit Versicherungsgarantien auf Gegenseitigkeit“ gewesen, in der die Kanzler „Vollzugshelfer des Kapitals“ gewesen seien. Erst jetzt werde die BRD ein Staat, der „nicht im Haus Europa wohnen, sondern es besitzen wird“.

Schwül wurde es in der Neustadt-Bücherei, in der 150 ZuhörerInnen auf Kubys Fährte waren. Die Spannung wuchs, als der Publizist die „Deutschen Konstanten“ des Großstaates witterte.

„Wir finden kein zweites Volk, das sich mit derartiger Beharrlichkeit der Selbstentmachtung, ja der Selbstzerstörung verschrieben hätte.“ Die Deutschen seien kein Volk wie jedes andere, weil es „die Grundmotive seines Handelns unter keinen Umständen bewußt machen will. Es fürchtet vor allem sich selbst, aber überspielt diese Furcht, die keine ist, sondern irreale Angst im Zustand der Macht, durch Anmaßung und Aggression.“ „Die Pause ist vorbei“, in der die Bundesdeutschen sich als wirtschaftwunderfleißige Schoßhündchen von der internationalen Politik hatten streicheln lassen.

Wie sehr es unter den Deutschen derzeit brodelt, vermittelte Kubys Bild vom „echolosen Raum“. „Eine Öffentlichkeit, die auf Schimpf und Schande dieses Kalibers (der Vereinigung, d.Red) überhaupt nicht reagiert, ist reif für die nächste Explosion. Kühl hätten die meisten Deutschen neben der geöffneten Mauer gestanden und mit dem Taschenrechner überschlagen, was das wohl alles kosten werde.

Den wesentlichen Anteil einer fehlenden Gegenöffentlichkeit habe die deutsche Presse. Sie sei zu keiner Zeit in der Lage gewesen, im Sinne einer kritischen Öffentlichkeit für notwendige Korrekturen beim Anschluß der DDR zu sorgen.

Doch der „echolose Raum“ werde bald von einen kräftigen „Deutschland erwache“ erfüllt. „Der WM-Ausbruch war nur ein Laborversuch“, ein Indikator für die tiefgreifende „faschistoide Tendenz“, die die Massen in fanatische Ausbrüche getrieben hat.

Wie begossene Pudel hockten die ZuhörerInnen in der Bücherei. Sprachlosigkeit, „tiefe Hoffnungslosigkiet“ hatte der Publizist verbreitet, und wo denn die Perspektive wäre. Kuby antwortete mit einem Satz, den er einmal von Ludwig Erhard zu hören bekommen hatte: „Ich kann nicht gleichzeitig Wirtschaftsminister und Pfarrer sein.“ mad

Als Knochen zum Weiterknurpsen: Erich Kuby: Der Preis der Einheit, Hamburg, 1990, 15 Mark