: Moderkuß macht's möglich
■ Der Brando-Erweckungsfilm »Freshman«
Auf irgendeinem Festival, man vermutet in Cannes, werden still, heimlich und klandestin die Entscheidungen fürs folgende Filmjahr getroffen. Eine Nacht lang, gegen Ende des Spektakels, wird das Kasino vor Ort geräumt und zum Schauplatz eines merkwürdigen Rituals: des alljährlichen Glücksrades.
Frei nach dem Prinzip der Sat.1- Show und der Lottogewinnziehung werden Schauspieler, Regisseure, Filmmusiken und aktuelle Themen einander zugeteilt, nachdem ein Zufallsgenerator die Liste der zukünftigen Filmtitel ausgedruckt hat. Als Filmtitel Nummer 46 an die Reihe kam, begann das große Zittern, denn offensichtlich entbehrte er jedes gängigen Inhalts, mit dem man einigermaßen im Kassentrend liegt: Freshman.
Erleichtert sanken die Starregisseure Hollywoods in ihre Sessel, als Andrew Bergman (wer zum Teufel ist...?) die Regie zugeteilt wurde. Doch dann geschah das Unfaßbare: Marlon Brando wurde gezogen und nach ihm gleich Amerikas Teeniestar Mathew Broderick. Da machte dann auch Maximilian Schell als glücklicher dritter die Verwirrung nicht wesentlich größer. Verwunderung vor allem, weil Marlon Brando nach der Pflichtverfilmung A Dry White Season (1989) wie üblich mindestens fünf Jahre pausieren sollte. Auch Mathew Broderick schien nicht am richtigen Ort. Mit der Komödie Family Business und einer Charakterrolle im sülzigen Menschenrechtsdrama Glory schien er endlich den Weg in eine erträglichere Erwachsenenrolle gefunden zu haben. Doch in Freshman hineinplaziert, wirkt er neben dem Saurier Brando wieder wie ein Grünschnabel...
Und so kam es dann auch. Broderick mimt dem Titel nach als Erstsemester an der New Yorker Filmschule: frisch, naiv und männlich, während Brando das Destillat seines Images parodierend herausströmt: Brando, der Pate der Paten. Es kommt zur Kollision, und die ist, da Nobody Andrew Bergman (Buch und Regie) nichts zu verlieren hat, tatsächlich komisch.
In Großbildaufnahme küßt Brando Broderick leidenschaftlich auf den Mund und besiegelt damit die Gefangenschaft des ahnungslosen Studis Clark Kellog, den Brando- Obermafiosi Carmine mit diesem Kuß (vor dem Bild Mussolinis) zu seinem Sohn erkoren hat...
Mit diesem Leitstrahl der moralischen Verpflichtung dirigiert »Carmine« Brando den Grünschnabel als Lockvogel in die Welt des gehobenen Verbrechens, hinein in die dekadente Welt des »Club Gourmet«, der den oberen Zehntausend Amerikas alljährlich am exklusiven Ort den kulinarischen Genuß aussterbender Tierarten bietet. Äußerst verwerflich und für Broderick-Kellog unannehmbar. Doch jede Nunance seines Gewissenskonflikts den der Zuschauer mit ihm teilt, ist von Carmine kalkuliert.
Aus der seltsamen, unmöglichen Konstellation ist also doch noch etwas geworden, und, man staune, die Unterhaltung, die Komödie gerät sogar noch recht subtil, wenn im Vorführsaal der Filmschule Brian de Palma direkt vis-à-vis vor seinem verehrten Meister Hitchcock plakatiert ist, während Clark Kellog ungläubig in Szenen aus Der Pate Teile seines jüngst begonnenen zweiten Lebens wiedererkennt.
Andrew Bergman ist also ein Name, den man sich fortan merken darf, auch wenn er jetzt wieder das Pech hatte, während des Glücksrads in Cannes Klaus-Maria Brandauer für eine Jack-London-Verfilmung zu ziehen, aber was ist das schon verglichen mit der Tragödie, die Geschichte der Doors mit Tom Cruise in der Hauptrolle als Jim Morrison verfilmen zu müssen (demnächst im Kino).
Rühmen darf er sich aber auch, das Fossil Brando wieder zum Leben erweckt zu haben in einer Rolle, die jeden Brando-Verehrer mit Hoffnung erfüllen muß. Sogar Hermann Gremliza wünscht sich nun ganz konkret von Brando, und nur von Brando, in einem neuen deutschen Histörchenfilm von Bobby Roth dargestellt zu werden, spielt darin doch schon Jürgen Prochnow die schwärzliche Rolle des Günther Wallraff. S.A.F.T.
Freshman (USA 1990), ab heute in der Filmbühne Wien, im Zoopalast und im Reinickendorfer Provinzkino.
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