Seltsam, daß der Autor just Buch heißt

■ betr.: "Verbundenheit statt Verband" (Bericht vom Weimarer Dichtertreffen) von Hans Christoph Buch, taz vom 2.11.90

betr.: „Verbundenheit statt Verband“ (Bericht vom Weimarer Dichtertreffen) von Hans Christoph Buch, taz vom 2.11.90

[...] Was Buch da gesehen und gehört haben mag — seine Sache. Aber denunzieren sollte er nicht, schon gar nicht Ernst Bloch. Es ist schlicht nicht wahr, „daß dieser sich erst nach dem XX.Parteitag der KPdSU vom Apologeten zum Kritiker des Stalinismus gewandelt hat — ziemlich spät also.“ [...]

Ich bin Schüler Ernst Blochs gewesen. Es war just in diesem Weimar im Jahre 1955. Ich war als Begleiter Ernst Fischers von der Donau an die Ilm gekommen, um einen der klassischen Träumer, nämlich Schiller, zu ehren, Thomas Mann zu hören und mit Bloch bekannt zu werden. [...] Er und Hans Mayer luden mich — auf Empfehlung Fischers — zum weiteren Studium nach Leipzig ein, der ich zu Ende 1956 folgte, um 1957 dann alles Bittere um Bloch und die Emeritierung [...] zu erleben. Ich hörte Privatkollegs noch lange und kenne so ziemlich alles, was er geschrieben hat. Er hatte schon früher die Deformationen der sowjetischen Entwicklung und Grundsatzfehler der DDR-Entwicklung erkannt, ja die Ansätze als irrtümlich kritisiert. Dies bereits in den Runden 1955 in Weimar — sie sind auch in früheren Werken bereits erkennbar —, nach 1956 und später selbstredend ausgebaut, denn die Fehler, Irrtümer und Verbrechen wurden immer deutlicher.

Daß in Exil- und Widerstandszeiten der NS-Faschismus im Zentrum der Kritik und des Denkens stand, ist aus der Situation deutscher Exilanten zu erkennen. Abgesehen davon, daß sie [...] nicht alles wissen konnten über Stalins Lager und Prozesse, obzwar sie/wir einiges wußten, waren Hitler und sein Faschismus wie das faschistische Lager der Hauptfeind; die Sowjetunion gehörte zu den Alliierten und war lange Zeit nun einmal die einzige Kraft, die dem Block in der Mitte Europas Widerstand zu leisten in der Lage war. [...] Diese Position hatte auch Bloch, und von der ist er nie abgegangen. Doch war er zu keiner Zeit ein Apologet des Stalinismus. Dies zu behaupten ist eine schlichte Verleumdung und Beleidigung. Und ein historischer Fehler.

Das alles zeugt von dieser schrecklichen Oberflächlichkeit des „Feuilletonismus“, dem von Hermann Hesse einst gebrandmarkten „feuilletonistischen Zeitalters“. Wie überhaupt dieser Bericht. Walsers langweilige Rede als „rhetorisch brilliantes Plädoyer“ zu bezeichnen, ist eigentlich Verrat an Walsers früheren großen Werken. Er erinnert mich an Freiligrath, der sich ebenso selbst überlebt hatte und nur noch von seinen achtundvierziger Gedichten zehrte. [...]

Und nun gar der sogenannte „literarische Höhepunkt“, das Geschichtchen von Hilbig über die Flaschen. Wie arm muß es um eine Literatur bestellt sein, gar um die geistige Befindlichkeit eines Landes, einer Nation oder wie man das auch immer bezeichnen mag, wenn so etwas entsetzlich Dürftiges, in einer armseligen, ja schlechten Sprache Hingemurmeltes als „literarischer Höhepunkt“ bezeichnet wird. Und wenn einem Berichterstatter halt gar nichts mehr einfällt, muß der Stalinismus herhalten. Ich fürchte, bald werden neue Altäre an die Stelle der verhaßten alten treten: all jene Schreiber werden dem Diktator Dankesaltäre errichten, denn er gab ihnen unerschöpfliche Themen. Wo etwas nicht läuft, wo etwas nicht verstanden wird, wo einer Humbug verzapft, packt man Stalinismus hinein.

Und die Packer sind vor allem jene, die darunter nie gelitten haben, die nie in Haft gesessen haben, weder in dem einen noch im anderen Regime, die nie verfolgt waren. [...] Wie tief ist doch das intellektuelle und moralische Niveau gesunken —die beiden gehören zusammen, das meint nicht nur Thomas Mann— wie tief auch das von Stil und Geist, von Anmut und Würde, sogar das von Büchern. Seltsam, daß der Autor just Buch heißt! Prof.Dr.phil.habil.Jochanan Ch.Trilse-Finkelstein, Berlin