Tour d'Europe

■ Amtssprache Deutsch?

Im glänzendsten Gebäudeteil des europäischen Hauses gibt es millionenfache Armut. Nach einer Studie der Kommission leben rund 50 Millionen Menschen in der EG unterhalb der Armutsgrenze, liegen also um 50 Prozent unter den durchschnittlichen Ausgaben eines Privathaushaltes im jeweiligen Land. Am größten ist das Elend in Portugal, wo 33 Prozent der Bevölkerung als „arm“ eingestuft wurden, gefolgt von Irland (20 Prozent) und Spanien (19 Prozent).

Eine Zeitbombe tickt auch auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Nach Angaben des statistischen Amtes der EG, „Eurostat“, ist im August 1990 die Arbeitslosigkeit in der EG erstmals seit mehr als einem Jahr wieder gestiegen, und zwar von 8,3 Prozent im Vormonat auf 8,4 Prozent. Jugendliche unter 25 Jahren sind davon stärker betroffen als ältere Menschen. Als Lösung fällt dem zuständigen Wirtschaftskommissar Christophersen aber nur der ECU (europäische Währungseinheit zum Preis von derzeit je 2,06 DM) ein. Sein Rezept: „Den Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion mit einer gemeinsamen Währung für die gesamte Gemeinschaft beschleunigt zurücklegen.“

Ein Tropfen auf den heißen Stein ist der Schuldenerlaß, den die EG-Kommission 66 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten gewähren will. Von den insgesamt rund 300 Milliarden Mark, die diese Länder der EG schulden, dürfen sie drei Milliarden als gestrichen betrachten. Das letzte Wort zu diesem großzügigen Verzicht auf das ohnehin als verloren geltende Geld haben allerdings die Außenminister der zwölf EG-Mitgliedsländer bei ihrer Sitzung im Dezember zum Thema „Leitlinien der Entwicklungspolitik“. Dabei wird der Club der Reichen sicher wieder genau auf den Pfennig achten: Frankreich und Großbritannien meldeten bereits jetzt ihren Dissens mit einer Aufstockung der Entwicklungshilfe der EG um vier Milliarden Mark an.

Auf eine neue Ordnung auf dem Kontinent bauen die Außenminister der neun neutralen und blockfreien Staaten (NN-Staaten) in Europa. Bei ihrem halbjährlichen Treffen in Helsinki erklärten sie optimistisch: „Der KSZE- Gipfel wird den Beginn einer neuen Ära der Beziehungen markieren, die von Respekt gegenüber Menschenrechten, der Entwicklung von Demokratie und Marktwirtschaft und sozialer Gerechtigkeit ebenso geprägt wird wie von intensivierter Zusammenarbeit auf dem Feld der Sicherheit.“

Schnell gelernt haben die Vertreter der fünf neuen Länder (FNL), daß in Brüssel nur mit Lobbys Politik zu machen ist. Der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe (SPD) will die DDR-Diplomatie beerben und die frühere Botschaft in Brüssel zur Interessenvertretung der fünf ostdeutschen Bundesländer bei der EG umfunktionieren. Zum Repräsentieren ist das Gebäude bestens geeignet. Es liegt zentral und ist „großzügig ausgestattet“, schwärmte Stolpe.

Eine stärkere linguistische Vertretung Deutschlands in der EG wünscht sich die Bundesregierung. In Brüssel habe man nämlich den „bedauerlichen Eindruck“, daß „einfach die Bereitschaft fehlt“, Deutsch genauso offiziell wie Französisch oder Englisch zu verwenden, erklärte ein parlamentarischer Staatssekretär von der FDP den Bonner Abgeordneten — auf deutsch, versteht sich. dora