Anfang vom Ende

■ Die Wahlergebnisse belegen den Niedergang der republikanische Allianz in den USA KOMMENTAR

Die politische Szenerie in den USA hat in diesen Tagen etwas Unwirkliches an sich. Da ergibt Umfrage nach Umfrage ein Ausmaß an politischer Unzufriedenheit, die in Europa zum Austausch ganzer Eliten reichen würde. Doch die rund 40 Prozent der Wahlberechtigten, die am Dienstag zu den Urnen fanden, bestätigten bei den Kongreßwahlen über 95 Prozent der lokalen Repräsentanten eines politischen Establishments, das sie als Ganzes zu verachten vorgeben.

Da gürten sich alle für die hereinbrechende Rezession, verlangen aber gleichzeitig von den Politikern eine steuer- und schmerzfreie Kur, ohne an den tieferliegenden Ursachen der Krankheit auch nur die Spur von Interesse zu zeigen.

Und da befinden sich eine Viertelmillion amerikanischer GIs in einem immer wahrscheinlicher werdenden Kriegsszenario, ohne daß Pro und Contra der Truppenentsendung auch nur Thema des Wahlkampfes gewesen wären.

Zur Politisierung des Golfkonfliktes braucht das Land offenbar Leichen. Wenn die Särge jedoch erst einmal nach Hause kommen, und wenn sich all die feigen Kongreßabgeordneten dann mit Verspätung dieses Themas annehmen, dann wird die knappe Mehrheit, die George Bushs Golfpolitik derzeit noch unterstützt, bald aufgebraucht sein. Dann dürfte der Präsident bereuen, daß er und seine Partei diesen Wahlkampf nicht dazu genutzt haben, das Volk auf den Krieg besser vorbereitet zu haben.

Ebenso unvorbereitet sind Regierende und Regierte auf den wirtschaftlichen Abschwung. Mit der Veröffentlichung der Reagan-Memoiren scheint die große Illusion dieser Gaukler-Ära nun endgültig vorbei. Doch im Angesicht der Wirtschafts- und Haushaltskrise boten die Republikaner bei den Budgetverhandlungen wie im Wahlkampf eine oft klägliche Figur.

Die zunehmenden Meinungsverschiedenheiten im republikanischen Lager und die Distanzierung vieler konservativer Kandidaten von ihrem Präsidenten während des Wahlkampfes sind der Anfang vom Ende der republikanischen Allianz der Reagan-Jahre. Selbst Ersatz-Hitler Saddam Hussein kann nicht mehr die bindende Funktion des aufgelösten kommunistischen Feindbildes ersetzen. In der jahrelang besetzt gehaltenen Abtreibungsfrage mußten viele Konservative auf weibliche Wählernachfrage hin auf das bisher demokratische Terrain der Abtreibungsfreiheit überwechseln. Und jetzt ist den Konservativen nach der Führungsschwäche des George Bush durch den faulen Budgetkompromiß auch noch das Steuerthema entglitten.

Die Demokraten haben dagegen zum ersten Mal in den letzten zehn Jahren wieder einen griffigen Slogan entdeckt: „Soak the Rich“ oder im klassenfreien Jargon auch „Fairneß-Thema“ genannt. Von der Weiterentwicklung und Popularisierung dieses noch zarten Umverteilungsgedankens wird es abhängen, ob der sich auflösende republikanische durch einen neuen demokratischen Konsens ersetzt werden kann.

Doch von der Konstruktion eines alternativen Hegemoniemodells sind die Demokraten derzeit noch meilenweit entfernt. Am Tag nach den Wahlen, die den Demokraten eher zufällige Erfolge bescherten und die erneut die Defizite einer von mächtigen Einzelinteressen dominierten Dollar- Demokratie offenbart haben, scheint Amerika den Herausforderungen von Golfkonflikt und Wirtschaftskrise eher ratlos gegenüberzustehen. Rolf Paasch