Le coq est mort

■ Deutschlands Einheit und Saint André-le-Coq

Viele Sorgen brachte die deutsche Vereinigung übers Land, doch nirgendwo ist die Verzweiflung so groß wie in St. André-le-Coq, dem 472-Seelen-Dorf in der Auvergne. Wie das Nationale Geographische Institut zu Paris nach einer jetzt publizierten Untersuchung feststellen mußte, hat sich der geographische Mittelpunkt Europas durch die Osterweiterung der EG um dreißig Kilometer nach Nordosten verschoben. Durch diese Verlagerung des geopolitischen Gleichgewichts hat die Gemeinde von Saint André- le-Coq ihren Ehrentitel „Mittelpunkt Europas“ verloren. Auf den war sie aber sehr stolz: „Wir haben sogar einen Verein ,Mitte Europas‘ gegründet und einen Fahnenmast gepflanzt“, berichtet Bürgermeister Jean Gagnevin. Und das Ausbleiben der Touristen werde die Ökonomie seines Dorfes spürbar treffen.

„Da habt Ihr denen einen üblen Streich gespielt mit Eurer Maueröffnung“, meint man maliziös im 30 Kilometer entfernten Rathaus von Saint Clément (Allier), wo traditionell die Befürworter eines möglich raschen Anschlusses der DDR sitzen. Die 332 Bürger des unverhofft — „aber nicht unverdient“, so das Rathaus — zu europäischen Ehren gekommenen Dorfes Saint Clément werden die Wiedervereinigung mit einem kommunalen Festakt und der Errichtung einer Steinsäule feiern. Auf der Säule werde allerdings die europäische, nicht die deutsche, Fahne gehißt werden.

In einer weniger feierlichen Zeremonie wurde auf der Gedenktafel in St. André-le-Coq ein Zusatz eingemeißelt: „Mitte Europas, 1987-3. 0ktober 1990“. Requiescat in pace.

Alexander Smoltczyk