Zentrales Wismut-Archiv soll zerstückelt werden

Berlin (taz) — Ein in Europa einmaliges Zentral-Krankenarchiv mit 44.000 Einzeldossiers von Wismut- AG-Mitarbeitern aus dem verstrahlten Uranbergbaugebiet der Ex-DDR droht unwiederbringlich verhackstückt zu werden. Das Archiv in Chemnitz soll am 31. Dezember dieses Jahres von der noch bestehenden Deutsch-Sowjetischen Aktiengesellschaft auf die Bergbauberufsgenossenschaft übergehen. Hier aber beginnt das Problem: Da es von den gesammelten Krankengeschichten abhängt, ob Berufskrankheiten und damit etwaige Rentenansprüche der Wismut-Beschäftigten anerkannt werden, möchte die Bergbauberufsgenossenschaft nicht allein auf den Akten sitzen bleiben. Ihre Finanzkraft ist zu schwach, um alle Ansprüche zu befriedigen. Deshalb soll das Archiv nach Jahrgängen zerstückelt und die Akten auch auf andere Berufsgenossenschaften verteilt werden. Die Bergbaugenossenschaft behielte nur fünf Prozent der Krankengeschichten in ihrer Obhut.

Von größtem Interesse ist diese Zentralkartei vor allem für vergleichende statistische Untersuchungen von strahlenbedingtem Lungen- und Bronchialkrebs bei jenen Menschen, die über längere Zeit das radioaktive Uranfolgeprodukt Radongas eingeatmet haben. Ungefähr 40 Prozent der 44.000 Dossiers in Chemnitz beziehen sich auf solche Fälle. Weil nirgends auf dem Kontinent derartiges Material gesammelt vorliegt, plant die Bundesanstalt für Strahlenschutz jetzt ein Fünfjahresprojekt mit dem Fachtitel „Epidemiologische Studie zum Krebsrisiko und zu anderen Gesundheitsrisiken bei Strahlenexposition in den Südbezirken“. Bei den Wismut-Angehörigen Sachsens und Thüringens soll zum Beispiel anhand der Chemnitzer Akten flächendeckend und detailliert untersucht werden, wie Lungenkarzinome entstehen. Die Art der Sanierung des Uranbergbaugebietes wiederum hängt direkt von diesen Untersuchungen ab. Dieser Plan ist gefährdet, wenn Archivleiter Dr. Martin Jönssen am Jahresende den Schlüssel abgeben muß und die zentrale Kartei 1991 auseinandergerissen wird. Thomas Worm