Zugriff auf Stasi-Akten für Geheimdienste

■ Entgegen allen Beteuerungen: Verfassungsschutz und andere Geheimdienste sollen wenigstens Teile des Stasi-Archivs zugänglich gemacht werden

Berlin (taz) — Entgegen allen Beteuerungen haben die deutschen Geheimdienste doch Zugriff auf die Akten des früheren Ministeriums für Staatssicherheit. Das bestätigte jetzt das Bundesinnenministerium auf eine kleine Anfrage der Bonner Bundestagsfraktion von Grünen und Bündnis 90. Ein genereller Zugriff auf die Stasi-Akten, wie es das Bundesinnenministerium noch im September forderte, ist zwar nach den massiven Protesten der Bürgerrechtsbewegung der früheren DDR im Vereinigungsvertrag ausgeschlossen worden, wird aber durch die gesetzlich geregelte Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden und Geheimdiensten unterlaufen.

Auf die Anfragen des Grünen- Bundestagsabgeordneten und innenpolitischen Sprechers, Manfred Such, teilte die Bundesregierung schriftlich mit: Im Rahmen der Verfolgung von Straftaten nach dem „G 10-Gesetz“, das eine Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses regelt, „wären an sich auch die Nachrichtendienste“ auf die Akten des früheren Staatssicherheitsdienstes zugriffsberechtigt. Diese Berechtigung sei aber nach den Regelungen im Vereinigungsvertrag und einem Beschluß der Innenministerkonferenz vom 13. September beschränkt worden.

Der Teufel steckt aber im Detail: Eine Verwendung von Unterlagen der Stasi komme insoweit in Betracht, „als die Strafverfolgungsbehörden den Nachrichtendiensten solche Daten im Rahmen der unumgänglichen Mitwirkung ausschließlich für Zwecke der Strafverfolgung übermitteln“. Einzige Voraussetzung für den Griff in die Stasi-Archive ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit Staatsschutzdelikten.

Außerdem wurde durch die Anfrage der Grünen/Bündnis 90 bekannt, daß nach neuer Gesetzeslage der Datenaustausch zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem militärischen Abschirmdienst (MAD) mit Staatsanwaltschaften, Polizeien und Geheimdiensten festgeschrieben wird. Nachdem diese neuen Bundesverfassungsschutzgesetze am 21. September auch vom Bundesrat verabschiedet wurden, sollen sie noch im November in Kraft treten. Die Fraktion der Grünen/Bündnis 90 hatte konkret gefragt, ob der Bundesregierung bekannt sei, daß die Staatsanwälte und Polizeien ihnen zugegangene Informationen Über Spionage und „gewalttätigen Extremismus auch von Ausländern“ von sich aus dem Kölner Bundesamt oder den Landesämtern für Verfassungsschutz übermitteln müssen, und daß sie diese im Bereich des „nicht gewalttätigen Extremismus“ übermitteln dürfen. Den Sachverhalt bestreitet die Bundesregierung nicht: „Die neue Rechtslage für die Nachrichtendienste ist der Bundesregierung bekannt“.

Den regen Austausch zwischen Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten bestätigte auch das Bundesjustizministerium. Auf Anfrage der Grünen über das Ausmaß der Übermittlung von Anklageschriften, Urteile oder „sonstige Aktenauszüge vor Verfahrensabschluß“ teilte Justizminister Engelhard mit: „Der Generalbundesanwalt unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz umfassend“. In „Ermangelung abrufbarer Datenbestände“ könne die Frage, in wievielen Fällen und bei welchen Delikten seit 1970 Abschriften an die Verfassungsschützer übermittelt wurden, leider nicht beantwortet werden. Wolfgang Gast