„Ein erstarrtes, böses, totes Menschenbild“

Im ehemaligen „Haus 1“ in der Normannenstraße ist Berlins erste öffentliche Stasi-Ausstellung zu sehen/ Gedenktstättenprojekt weiterhin in Gefahr/ Lenins Totenmaske und Käthe-Kollwitz-Zeichnungen verschwanden spurlos  ■ Aus Berlin Christian Böhmer

In der Mielke-Etage brennt noch Licht. Seit gestern ist die erste öffentliche Ausstellung zur Staatssicherheit in den Büroräumen des ehemaligen DDR-Geheimdienstchefs eröffnet. Im „Haus 1“ inmitten der einstigen Berliner Stasi-Trutzburg Normannenstraße sind Spitzeltechniken, Plastiken, Kunst- und Kitschgegenstände zu besichtigen — und vor allem natürlich die „Mielke-Suite“. Zwischen Kolossal-Lenin-Kopf und Topfpflanzen, kobaltblau bezogene Sesselreihen und 50er-Jahre-Cocktail-Lounges präsentiert sich hier die kalte Atmosphäre der Macht. Die Schreibmaschine der Sekretärin ist noch da, die Karte „Kriegsschauplätze in Nah-Ost“ auf der mit Filz bezogenen Schiebetafel allerdings nicht mehr, ebensowenig wie die Original- Totenmaske Lenins, die einst in der rechten oberen Ecke auf Minister Mielkes Schreibtisch lag.

„Wen die Idee einmal erfaßt, den läßt sie nicht mehr los.“ Der alte Ausspruch Mielkes trifft auch auf die Mitarbeiter der Forschungs- und Gedenkstätte zu. Aus dem Bürgerkomitee, das sich nach dem „Sturm“ auf die Stasi-Zentrale im Januar dieses Jahres formierte, ging eine Arbeitsgruppe hervor, die sich um das symbolische Erbe der Stasi kümmerte.

Das sah praktisch oft so aus, daß Mitarbeiter Fahnen, Erinnerungspokale, Säcke mit Abzeichen und Modelle des Moskauer Funkturms aus dem Müllcontainer fischten. Wertvolleres Kulturgut verschwand teilweise auf zwielichte Weise, wie zum Beispiel die Käthe-Kollwitz-Zeichnungen, die sich in Mielkes-„Geschenkeeingangskeller“ befanden.

Käthe-Kollwitz- Zeichnung verschwunden

Das Nationale Komitee zur Auflösung der Staatssicherheit soll die Kohleblätter im Wert von rund 440.000 Mark einkassiert haben, ebenso wie die Leninmaske vom Schreibtisch. Von den Objekten fehlt bisher jede Spur. Die Stasi-Schau konnte realisiert werden, doch das ganze Projekt einer Forschungs- und Gedenkstätte im Haus1, wie sie die im vergangenen Sommer gegründete „Antistalinistische Aktion“ verficht, ist weiterhin in Gefahr. Den MitarbeiterInnen, die bisher beim Stasi- Auflösungskomitee in Lohn und Brot standen, wurde jetzt gekündigt, denn das Komitee löst sich jetzt selber auf. Seine Aufgaben werden von der Treuhandgesellschaft wahrgenommen. An die stellten die Initiatoren einen Antrag auf das Weiternutzen von Haus1. Bisher gab es keine Antwort. „Wir hängen in der Luft“, sagte die Mitarbeiterin der neuen Stasi-Gedenkstätte Dorit Suarez bei der Eröffnung am Mittwoch abend.

Haus 1 war Sitz und Mittelpunkt der „Krake“. Hier residierte jahrzehntelang Erich Mielke. Die Demonstrationen Anfang des Jahres berührten das Haus merkwürdigerweise nicht. Der rüttelnde Paternoster, die vertäfelten Chefzimmer, der als Holzintarsienarbeit oder geschnitzter Kopf überall präsente russische Tscheka-Boss Feliks Dzierzynski lassen etwas von dem unseligen Geist erahnen, der hier wirkte. Die überall aufgestellten Skulpturen im Stil des „sozialistischen Realismus“ tun ihr übriges: „Sie zeigen ein erstarrtes, böses, totes Menschenbild“, sagte Carlo Jordan von der „Antistalinistischen Aktion“.

Der „Schutz und Schild der Partei“, die Stasi, ist bereits Geschichte. Draußen, an den grauen Wänden, sind noch deutlich die Graffiti aus den Zeiten der Besetzung zu sehen: „Stasi raus“, „Piss off“, „Nazi- Pigs“, „Volksfeinde“ oder: „Ihr habt Matthias Domaschke ermordet!“.

Haus 1, Normannenstraße 22, Eingang Ruschestraße 59, Berlin 1130, Öffnungszeiten, Di, Mi, Do: 14—19 Uhr; Fr 9—13 Uhr und Sa 14—17 Uhr. Informationen: Tel. 23724610