■ NOCH 3340 TAGE BIS ZUM JAHR 2000
: Der Unterhaltungswert der deutschen Justiz

Das Amtsgericht Neuss fällte ein bahnbrechendes Urteil über den Gebrauch von Pferdeäpfeln: Ein Mann mit einer Vorliebe für natürlichen Dünger hatte über mehrere Tage hinweg insgesamt 16 Schubkarren Pferdemist auf seinem Grundstück abgekippt. Seinem Nachbarn gefiel die Duftnote nicht, er klagte und verlor. Denn „in der vorübergehenden und jahreszeitlich bedingten Ablagerung des Pferdemistes“ sah der Richter nur eine „unwesentliche Beeinträtigung“.

Etwas komlizierter liegt der Fall mit dem Friedhofs-„Kuckuck“. Ein Steinmetz hatte die Pfändung eines Grabsteins beantragt, den er gemeißelt hatte, der aber nicht bezahlt wurde. Das Bonner Amtsgericht gab ihm recht. Der Grabstein wurde mit einem „Kuckuck“ verziert. Die nächste Instanz, das Bonner Landgericht, berief sich auf Paragraph 811 der Zivilprozeßordnung, in dem es heißt, daß Gegenstände, die zur unmittelbaren Verwendung für die Bestattung bestimmt sind, nicht gepfändet werden dürfen. Zur Begründung erklärte das Gericht: „Aus Pietätsgründen und mit Rücksicht auf die trauernden Angehörigen muß das Gesetz so ausgelegt werden, daß auch ein Grabstein zu den nicht pfändbaren Gegenständen gehört.“ Das war allerdings noch nicht das Ende, denn der „Kuckuck“ klebt immer noch auf dem Stein. Der gemeine Steinmetz hat sich nämlich mit einer sofortigen Beschwerde an das Kölner Oberlandesgericht gewandt.

Eineinhalb Jahre lang hat ein nackter Surfer die Justiz beschäftigt. Am 28. Mai vorigen Jahres war ein 25 Jahre alter Zivildienstleistender aus Lübeck auf dem Ratzeburger See mit Hemd, doch ohne Hose, gesurft. Ein pensionierter Polizist, der am Ufer ein bißchen gespannt hatte, fühlte sich durch den Anblick der frei schwingenden Männlichkeit (wahrscheinlich hatte er soetwas noch nie gesehen) beleidigt und erstattete Anzeige. Vom Amtsgericht Ratzeburg wurde der heiße Surfer nach dreitägiger Verhandlung wegen „vorsätzlicher Beleidigung“ zu 1.200 Mark Geldstrafe verurteilt. Der Mann habe mit seiner „demonstrativen“ Zurschaustellung das „allgemeine Scham- und Sittlichkeitsgefühl“ verletzt, behaupteten die Richter. Das Landgericht Lübeck war anderer Meinung. Es hob die Entscheidung auf und stellte das Verfahren gemäß Paragraph 153 Strafgesetzbuch („Nichtverfolgung von Bagatellsachen“) auf Kosten der Landeskasse ein. Solche Verfahren dienten allenfalls dem Unterhaltungswert, nicht jedoch dem Vertrauen in die Justiz, hieß es. Karl Wegmann