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Deutschland schließt Frieden mit PolenKohl kam Mazowiecki an der Oder entgegen

■ Bundeskanzler Kohl hat nun doch nachgegeben: Er will den Grenzvertrag mit Polen noch im November unterzeichnen. Auch die Visumpflicht wird wieder aufgehoben. Wirtschaftshilfe soll die „Reichsdeutschen“ mit der Oder-Neiße-Grenze versöhnen.

Der Grenzvertrag zwischen Polen und der Bundesrepublik soll noch in diesem Monat in Warschau unterschrieben werden. Gemeinsam mit dem umfassenden Vertrag über gutnachbarschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit soll er dann Februar 1991 dem deutschen und polnischen Parlament zugeleitet und ratifiziert werden. Dies ist das wichtigste Ergebnis des Kohl-Mazowiecki-Treffens vom gestrigen Donnerstag im historischen Rathaus von Frankfurt/Oder.

Bundeskanzler Kohl hat damit das Junktim zwischen beiden Verträgen aufrechterhalten, ist aber den dringenden Wünschen Polens nach baldmöglichster Unterzeichnung des Grenzvertrages wenigstens einen Schritt entgegengekommen. Ein weiteres wichtiges Zugeständnis Kohls betrifft die Zustimmung für den visumfreien Verkehr zwischen beiden Ländern noch vor Weihnachten. Zwischen Berlin und Warschau soll eine Autobahn gebaut bzw. das bestehende Teilstück soll modernisiert werden.

In der dreieinhalbstündigen Beratung brachte die polnische Seite ihre Prioritäten für den allgemeinen Vertrag ein: neben dem Visum-Abkommen die Zusammenarbeit in der Grenzregion und der Status polnischer Arbeiter in der vormaligen DDR, den Aufbau eines Jugendwerkes nach deutsch-französischem Vorbild, Schuldenstreichung oder mindestens Verringerung der Zinsbelastung, schließlich die Frage der Entschädigung für polnische Zwangsarbeiter während des 2. Weltkriegs.

Schwerhörig bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern

Kohl und Teltschik sagten eine „vertiefte“ Diskussion des Themenkatalogs zu, für die Zusammenarbeit in der Grenzregion wurde bereits eine Kommission eingerichtet. Der Vorschlag des Jugendwerkes stammte ursprünglich von Kohl selbst.

Was die ökonomischen Wünsche der Polen angeht, bleibt die deutsche Regierung auf Distanz. Lediglich das „Swap“-Abkommen, das die Umwandlung eines Teils des Jumbo- Milliardenkredits aus der Zeit der Schmidt-Regierung in Zloty-Guthaben zur Finanzierung polnisch-deutscher Projekte vorsieht, wurde abgesegnet. Der Rest der Jumbo-Schuld wurde „geschenkt“, was die polnischen Schuldendienst überhaupt nicht entlasten wird. Was die Entschädigung polnischer Zwangsarbeiter des 2. Weltkriegs anlangt, eine Forderung, der die polnische Seite prinzipielle moralische Bedeutung beimißt, bleibt die Bundesregierung weiterhin schwerhörig. Sie ist nicht einmal bereit, in die Gründung einer Stiftung einzuwilligen, die, von den „begünstigten“ deutschen Firmen finanziert, wenigstens symbolische Zahlungen leisten könnte.

Der neuralgische Punkt des polnisch-deutschen Verhältnisses, die Frage der deutschen Minderheit in Polen, wird durch den allgemeinen Vertrag nur indirekt berührt werden. Mazowiecki hat bereits im Vorfeld der Verhandlungen die Gewährung des „internationalen Standards“ für die Minderheit zugesichert, gleichzeitig aber klargemacht, daß der Komplex der Minderheitenrechte innere Angelegenheit Polens sei. Die Regierung Mazowiecki hat gegenüber der Praxis des Realsozialismus gerade auf dem Feld der Minderheitenrechte radikal das Ruder herumgeworfen und eine große Zahl von Forderungen, auch und gerade der deutschen Minderheit bereits erfüllt. Sie macht aber geltend, daß auch in der Bundesrepublik den hier lebenden Polen bzw. Deutschen polnischer Abstammung kulturelle und soziale Minderheitenrechte eingeräumt werden müßten.

Der ganze Komplex wird solange unlösbar bleiben, wie die deutsche Minderheit in Polen Deutschland als ihr eigentliches Mutterland ansieht und die Bundesregierung nicht davon abläßt, die Rolle des Schutzpatrons zu spielen.

Vorurteile verharren am gleichen Ort

Begegnung an der Oder — viele Frankfurter hatten sich nicht vor dem Rathaus eingefunden, das als Verhandlungsort des Kohl-Mazowiecki- Treffens ausersehen war, dafür ein paar Hundert Journalisten. Eine Szene, die für den gegenwärtigen Stand des deutsch-polnischen Verhältnisses typisch ist: Staats und Medien„ereignisse“, denen fast nichts an gesellschaftlichen Initiativen entspricht.

In Frankfurt/Oder haben die Handvoll Mitglieder des „Neuen Forum“, die für die polnisch-deutsche Aussöhnung arbeiten, einen schweren Stand. Wenn sich auch mittlerweile die Einkaufswelle Richtung Osten gedreht hat, die Vorurteile verharren am gleichen Ort. C.S.

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