Für mutigen Verzicht auf „Gesundheit“

■ Ivan Illich in der Bremer Uni: Es gibt nur eine Antwort auf das Medizinsystem: „Nein, Danke!“

Es gibt eine Antwort auf das moderne Medizinsystem: „Das begrüßenswert deutsche 'Nein, Danke!' aus der Mitte der 80er Jahre“. Der das am Donnerstag abend vor über 200 ZuhörerInnen sagte, war auch bei dieser Erkenntnis — wie in fast allen seiner 54 Bücher — der Zeit weit voraus: Bereits 1976 hatte Ivan Illich unter dem Titel „Die Nemesis der Medizin“ seine radikale Abrechnung mit dem Wahn, Gesundheit sei technisch machbar, veröffentlicht. Jetzt brachte er sie in der Bremer Uni auf den neuesten Stand.

Als Gastprofessor in Oldenburg (Wintersemester 90/91) und Bremen (Wintersemester 91/92) wird Ivan Illich sein „Nein Danke!“ zur kontraproduktiven Technik-Entwicklung noch öfter durch das norddeutsche Flachland rufen.

Am Donnerstag hockte er dazu munter grauhaarig auf dem Tisch im fensterlosen Kongreßsaal der Bremer Uni, spreizt seinen Mund über beide Backen und versetzte sein gebanntes Publikum mitten in die Generalversammlung der Weltgesundheits-Organisation (WHO), der Illich jüngst in Hannover ihr Motto für die 90er Jahre um die Ohren gehauen hat: „Gesundheit in eigener Verantwortung“.

Als „sinnlos, trügerisch und lästerlich“ wies er dort die Idee zurück, der Einzelne könne heute für die Bedingungen seiner Gesundheit verantwortlich gemacht werden: „Für das Ozonloch Verantwortung zu übernehmen — das ist einfach Unsinn.“ Und daß er mit seinem Flug aus den USA soviel Sauerstoff verbraucht habe „wie eine Elefantenherde in ihrem ganzen Leben“, das „war kein Ausdruck meiner Verantwortungslosigkeit, sondern meines Daseins in einer verantwortungslosen Welt.“

„Gesundheit aus eigener Verantwortung“ — das bedeute umgekehrt doch nur: „Ihr seid selber schuld, wenn ihr krank werdet!“ Zwar hatte auch Illich 1976 in seiner „Nemesis der Medizin“ die „Wiederentdeckung der persönlichen Verantwortung für die Gesundheit“ gefordert, allerdings gekoppelt mit einer grundsätzlichen Abkehr von der Illusion, Gesundheit sei ein persönlicher Besitz und technisch produzierbar. „Heute schlägt das Pendel wieder zurück“, stellt Illich fest, „die Medizin verspricht nicht mehr, Krankheit in jedem Fall technisch beseitigen zu können. Es geht wieder zurück zur Krankheit aus eigener Schuld — und damit als einer Polizeiaufgabe.“

Welche Chance gibt es gegen das Medizinsystem, das krank macht, weil es die Kraft des Einzelnen verstümmelt, zu gesunden und seine Umwelt so zu gestalten, daß auch Schmerz, Schwäche und Tod darin Platz haben? „Mutiger und in Gemeinschaft vollzogener Verzicht“ ist die Antwort von Ivan Illich. „Verzicht erlöst aus der Ohnmacht, mit Resignation hat das nichts zu tun“, sagt er und will auch nicht als Öko-Diktator mißverstanden werden. Ihm geht es um die Wiederherstellung eines Begriffes von Gesundheit, der nicht Schmerzfreiheit und gutes Funktionieren des Körpers meint. Sein Ziel: „Sich in die Harmonie des Weltalls fügen“ und aus vollem Leben den kontraproduktiven Machbarkeits-Technokraten ein herzhaftes „Nein, Danke!“ zurufen. Dirk Asendorpf