Die Polyesterwattenpenetration

■ »Sennentuntschi« im Theater zum Westlichen Stadthirschen

Die Berliner Theaterlandschaft hat einen Gipfel dazugewonnen, auf dem es allerhand Alpenglühen und -rosen gibt. Droben am Gipfel röhrt ein brünftiger Stadthirsch, läßt ein mächtiges Brunzen los. Denn ein Weib ist ihm erstanden, die Sennentuntschi, die vor allem ein Loch zum Reinröhren hat.

Drei Männer in einer Almhütte: zweiundzwanzig Tage vor dem Almabtrieb halten sie's nicht mehr aus. Und wo zwei oder drei in ihrem Namen beisammen sind, da ist sie mitten unter ihnen. Dabei sind sie auf ihre Lieselotten im Tal gar nicht so scharf. Die reden zu viel vom Arbeiten und Beten. Sie wollen lieber eine, die ohne Widerrede das alleinzige Männerbedürfnis stillt. Eine Mistgabel tut's, ihre Zinken werden zu Schultern umgebogen, sie bekommt einen Weinflaschenkopf und noch ein paar Kissen unter den Wintermantel — und fertig ist die Vogelscheuche, Puppe, urideutsch Tuntschi, mit einem Strohwisch als Haar. Nach einer Nacht, in der es heftig ums Haus weht und ein mächtiges Donnerrollen die Männer in die Knie vor die Jungfrau Maria zwingt, beginnt der Tuntschi zu leben und wird Maria getauft. Und Fridolin (Johannes Herrschmann), Benedikt (Werner Koller) und Mani (Dominik Bender) sind erlöst von allem Übel: In der Lederhose juckt sie nichts mehr, sie müssen sich nicht mehr gegenseitig ans Leder, die Puppe entpuppt sich zu einer gerade über so viel Vitalität verfügenden Polyesterwattenhomuncula (Elisabeth Zündel), daß man sich gut auf sie betten kann.

Man kann sich mit der Zeit immer besser betten, da der Tuntschi ein Loch ohne Boden ist und menschliche Wünsche anmeldet und frißt und sich immer dickere Ringe um die Hüftgegend legt. Tuntschi lernt reden, plappert »essen und trinken und vögeln auf der Matratze« nach; und weil sie die Bedürfnisse der drei so ganz und gar befriedigt, gewinnen die ihre Tuntschi so lieb.

Der dumme Mani ist ganz beseeligt, der forsche Fridolin muß keine Donschuanreden mehr schwingen, der derbe Benedikt will nichts mehr hören von seiner Frau. Aber der 22. kommt und der Almabtrieb muß getan werden und sie wissen nicht, was mit dem Tuntschi tun. Sie ist ihnen über die Köpfe gewachsen, sie hätten sie gerne los und beschließen, sie auf dem Weg in die Schlucht runterzustoßen.

Aber der Tuntschi hat auch gelernt: »die Haut abziehen und nachsehen, was drunter ist«, greift, als der Mani schon mit dem Vieh voraus ist und der Benedikt dem Mani hinterher, nach einem Messer, das in der Wand steckt, rollte auf die Matratze, wo der Fridolin liegt, und steigt auf das Dach oder fährt durch den Schornstein, den Skalp von Fridolin in der Hand.

Eine Sage aus dem Uri, dramatisiert von Hansjörg Schneider, vitalisiert auf den Brettern des Westlichen Stadthirschen unter der Regie von Werner Gerber. Die Almhütte, gebaut von Urs Hildbrand, bleibt zwar trotz Echtmelkschemel und Echtbutterfaß und Echtrucksackausstattung von Barbara Kugel eher eine Berliner Hütte, in der drei »Zuagroaste« das Sennsein probieren — aber zusammen mit dem Tuntschi machen sie schon allerhand Zünftiges los im Hütterl, so daß sich der steile Aufstieg zum Kreuzberggipfel schon lohnt. Michaela Ott