Nachfedernde Holzpodeste

■ Public Enemy in der Neuen Welt

Noch vor Beginn des Konzerts blieb Zeit, die Vorurteile gegenüber den Vorurteilen und der Gewalttätigkeit des Rap- und Gangwesens zu revidieren. Erstaunlich, wie der Ablauf des Abends draußen vor der Halle aus mehreren Einsatzwagen der Polizei verfolgt wurde. Daß in Amerika Public Enemy in engem Zusammenhang mit Rassenunruhen erwähnt werden, schien dem Kreuzberger Bezirksamt eine Observation der heimischen Türkenkid- und Autonomenszene wert. Die HipHopHooligans blieben jedoch aus. Stattdessen drängte sich ein buntes Völkchen vor dem Eingang, mürrisch, weil es keine Eintrittskarten mehr gab. Von Randale keine Spur. Der Hinweis des Veranstalters an die Sicherheitsbeamten, Deeskalation (wenn überhaupt) walten zu lassen, konnte an der nächsten Würstchenbude lachend in die Tat umgesetzt werden. Was sich hätte an der Atmosphäre entzünden können, wurde während überlanger Wartezeiten am Tresen vollends gelöscht. Mit dem Prosit der Gemütlichkeit emfping man bereits den ersten Act: »Intelligent Hoodlum«. Deren MC (microphone commando) Tragedy rappte und plapperte angenehm jugendlich-verspielt auf simplem und soliden Beats, ab und an blitzten Melodiefetzen aus den Hits des letzten Sommers auf, alles in kuscheliger Heimeligkeit frischgewaschener Jogginganzüge. Viel Spirit und Bewußtheit entflossen den Verbalreihungen des etwas zu schüchternen jungen Mannes über die Lage der Welt 1990. Ein letztes »No Justice No Peace, No Peace No Justice«, ciao, thank you Berlin, die nächste Vorband , das nächste Bier. Die »Young Black Teenagers« waren wirklich sehr jung, weniger black, mehr »multikulti« und vor allem viel zu anstrengend. Die Wortspielereien, mit denen man sich auf den Straßen von Brooklyn die Zeit vertreibt, wollten in der Hasenheide nicht zünden. Freie Rapimprovisationen, nur von einem rhythmischen Gerüst aus Gekeuche und Geschnalze einer »human beatbox« getragen, verzögerten in den Augen des Publikums unnötig den Auftritt von Public Enemy. Es folgten Pfiffe, dann kamen die Stars.

Public Enemy stehen in der Hörergunst ebenso wie im Kreuzfeuer der Medien an erster Stelle. Über weite Strecken des Konzerts wurde eigentlich nicht klar warum. Der von ihnen dargebotene »showcase«, eine lockere Kombination aus Playbacks, Gescratche und hardcore rap, galt bislang als untadelige Verbreitung eines anderen »cases«, eines (Rechts-) Falls. Auf der Bühne galten Public Enemy als Gerichtshof und Revolutionstribunal in einem. Chuck D., Flavor Flav und Professor Griff klagten mit jakobinischem Zorn Präsidenten um Präsidenten, Ausbeuter aller Länder und besonders Südafrikas, die Verteufeler Mohammeds und überhaupt die ganze »wallstreet« in ihren Songs an. Bis sich Prof. Griff vor kurzem selbst mit antisemitischer Hetze ausbootete und als vermeintlicher Richter abgesetzt werden mußte. Gleichzeitig erreichten die Umsatzzahlen von Public Enemy eine Größenordnung, die Chuck D. zu einem anerkannten Talkshow-Gast neben George Bush gemacht haben müssen.

Denn irgendetwas scheint abgefärbt zu haben, am Schminktisch oder in der Telerunde. Statt der disziplinierten Schärfe und unbarmherzigen Haßhetzhärte, die Potential und Bedrohung der Band ausmachten, statt der Bürgerschreckness huschen die Revolutionsführer halbherzig unter den Klängen eines infernalischen Mixchaos über die Bühne. Selbst Großmaul Flavor Flav entschuldigt sich ständig; erst für sein zahmes Bühnegebaren (»die Holzpodeste würden nachfedern und die DJ- Anlage zum Springen bringen«), dann für das schlechte Bandimage in der Öffentlichkeit. Alles sei Lüge, Public Enemy verbinden durch ihre Auftritte schließlich Rassen, Völker und Nationen. So richtet sich Flavor Flav, den man auch den Joker nennt, breit stuyvesantierend ans Publikum, das sich über den Frieden freut. Und der entsteht, wenn alle ein Peacezeichen mit ihren Fingern formen und dann in die Höhe richten. Das Berliner Publikum ist in Fingerübungen besser als die Fans in Paris, bestätigt Flav. Da kommt noch mehr Freude auf. Berlin sei überhaupt ganz toll, jetzt wo die Mauer weg ist.

Und weil nun alle zusammen — vereinigt — den Krieg, das Militär und die Apartheid fucken können, stimmen Public Enemy gegen Ende der Show Fight The Power an. Homeboyfäuste kreisen, das Becken einer Nachbarin routiert und vor den Toiletten versuchen sich einige in Ausdruckstanz. In New York tanzt dazu keiner, aber hier ist hier, und Schnaps ist Schnaps. Bald geht das Licht an. Viele hundert verschwitzte Weiße, rot angelaufene Menschen, drängen zufrieden nach Hause. Knapp 200 Farbige ziehen mit Leichenmiene davon. Der Rost, der Dreck, der Haß und die Wut scheinen von den Worten Public Enemys abgeblättert zu sein, es blieb eine Lehrstunde in black entertainment. Wer wollte den Betroffenen die Enttäuschung verdenken. Nur einer lächelt. Er hat vor einer halben Stunde eine Rockabillybraut aufgetan. Harald Fricke