Rote Richter wollen schwarze Robe

■ Justizverwaltung hat mit der Überprüfung der Vergangenheit von Ostberliner Richtern und Staatsanwälten begonnen 352 Anwärter der ehemaligen DDR-Justiz wollen weiter Recht sprechen und anklagen/ Erste Entscheidung am 12. 12.

Berlin. Die Senatsverwaltung für Justiz hat jetzt mit der Überprüfung der ersten DDR-Richter und Staatsanwälte begonnen, die einen Antrag auf Übernahme in die Berliner Justiz gestellt haben. Nach Angaben von Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) sind in ihrer Behörde insgesamt 352 Übernahmegesuche eingegangen. Ob sich unter den Bewerbern auch die Richter und Staatsanwälte befinden, die die Machtdoktrin der SED besonders hart und willfährig durchsetzten, indem sie politische Gegner des Regimes hinter die Gitter brachten, wollte die Justizsenatorin nicht sagen. Sie erklärte lediglich, daß Bewerber, die die staatlichen Direktiven an »vorderster Front durchgesetzt haben« nicht weiter in der Rechtspflege tätig sein sollten. Limbach legte in diesem Zusammenhang aber Wert auf die Feststellung, daß »jeder Einzelfall« geprüft und es »keine pauschalen Verurteilungen« geben werde. Die alleinige SED- Mitgliedschaft der Kandidaten könne kein Ausschlußkriterium sein.

Vor der Einheit waren in Ost-Berlin 200 Richter und 104 Staatsanwälte tätig. Sie wurden per 3.Oktober in den Wartestand versetzt — solange, bis sie laut Einigungsvertrag vom Richterwahlausschuß auf ihre Vergangenheit überprüft und grünes Licht für die Weiterarbeit bekommen haben. Der Berliner Richterwahlausschuß ist mit sechs Vertretern des Abgeordnetenhauses (drei CDUler, zwei SPDler, ein ALer), fünf Westberliner Richtern und einem Mitglied der Rechtsanwaltskammer besetzt. Vertreter der Stadtverordnetenversammlung aus Ost-Berlin können nicht teilnehmen, weil die Volkskammer es bis zum 3.Oktober nicht mehr geschafft hatte, sie als gewählte Vertreter zu bestätigen. Das wird sich erst am 11. Januar zu Konstituierung des Gesamberliner Parlamentes ändern.

Bis dahin wird der alte Westberliner Richterwahlausschuß allein über die Anwärter aus Ost-Berlin entscheiden. Die ersten Kandidaten werden am 12.Dezember zur Abstimmung stehen. Nach Angaben von Justizsenatorion Limbach handelt es sich dabei um »sehr wenige« junge Anwärter. Die seien deshalb ausgewählt worden, weil ihre Vita in der DDR-Justiz aufgrund ihrer kurzen Laufbahn leichter zu überprüfen sei. Das Vorschlagsrecht für die zur Abstimmung stehenden Kandidaten liegt bei der Justizsenatorin. Zuvor werden die Anwärter von der Justizverwaltung, dem Personalrat des Kammergerichts und der Kammergerichtspräsidentin persönlich unter die Lupe genommen und alle vorhandenen Materialen überprüft. Jeder Kandidat muß einen Fragebogen ausfüllen sowie eine Anfrage beim Stasi-Aufklärungsbevollmächtigten und der Erfassungsstelle in Salzgitter über sich ergehen lassen. Außerdem werden Stichproben von seinen Urteilen und Anklagschriften durchgeführt. Aufschluß geben soll auch der sogenannte »Wochenbericht« der kürzlich im Ostberliner Stadtgericht gefunden wurde. In dem Bericht, der mit den Namen von Richtern und Staatsanwälten gezeichnet ist, berichteten Richter und Staatsanwälte namentlich über brisante, anstehende Prozesse. In einem Bericht vom 12.April 1989 ist zum Beispiel die Rede davon, daß ein Bürger aus Köpenick die DDR »diffamierte«, weil er an einer Liftfaßsäule die »Behauptung« angebracht hatte, in der DDR würden Andersdenkende inhaftiert. Zur Beurteilung wird last but not last auch die Kaderakte herangezogen. Die allerdings ist nichtssagend, weil alles belastende Material von den Betroffenen entfernt wurde. Plutonia Plarre