ock made in Ireland

Noch zögern staatliche Stellen in Irland, die florierende Rockindustrie als förderungswürdig anzuerkennen. Dabei könnte sie ein lukrativer Wirtschaftszweig auf der traditionell armen Insel werden. In den Windmill Lane Studios in Dublin geben sich die Stars der Rockszene bereits die Klinke in die Hand, doch private Investitionen allein sind nicht ausreichend.

Über die Chancen Dublins, zur Rockhauptstadt der neunziger Jahre zu werden, berichtet RALF SOTSCHECK

ie kleinen Gassen, die von den Kais an der Südseite des Dubliner Hafens abzweigen, sind ziemlich heruntergekommen. Die brachliegenden Grundstücke dienen als Parkplätze für die Besucher der Hafenkneipen und die Angestellten der Gaswerke am Ende der Kais. Doch die Architekten der Stadtverwaltung haben Großes vor mit der südlichen Innenstadt: Yuppies haben bereits ein Auge auf das Viertel geworfen. Mit dem Bau des internationalen Finanzzentrums nördlich des Hafens steigen auch die Bodenpreise auf der Südseite — ein Alptraum für die Menschen, deren Familien bereits seit Generationen in dem Arbeiterviertel leben.

Parallel zu den Kais verläuft die Windmill Lane, eine kaum 200 Meter lange Gasse. Von einer Windmühle keine Spur: Rechts liegen Lagerhallen und Büroblocks, links kleine Reihenhäuser ohne Vorgärten. Fast alle Gebäude sind mit Graffiti besprüht, selbst die Gehwege sind mit bunten Sprüchen bedeckt. Alles dreht sich um U 2, die erfolgreichste irische Rockband aller D

Zeiten: „Bono, du bist der Größte“, steht in großen Lettern auf dem Rollgitter der Lagerhalle. Darunter in gelb auf dem Gehweg: „Kommt endlich wieder nach Deutschland, U 2.“ Vor einer unscheinbaren Toreinfahrt hat sich eine Gruppe Jugendlicher versammelt. Zwei Wächter in Uniform stehen in der Einfahrt und versuchen vergeblich, die Jugendlichen zu verscheuchen. Das Objekt des Interesses sind die Windmill Lane Studios im Hinterhof. In dem modernen Gebäude aus rotem Stein geben sich Rockstars die Klinke in die Hand: Def Leppard, Steve Winwood, die Waterboys, Kate Bush, Terence Trent D'Arby und natürlich U 2.

Russ Russell, der Manager der Studios, sagt: „Ein Studio, das international wettbewerbsfähig sein will, muß nicht nur mit der Entwicklung Schritt halten, sondern ihr voraus sein.“ Im vergangenen Jahr sind die drei Aufnahmestudios modernisiert worden. Die Investition hat sich bereits bezahlt gemacht. „Dank U 2, Kate Bush und der anderen Rockgrößen, die das Studio benutzen, konnten wir in den US-amerikanischen Rockmarkt eindringen“, sagt Russell. „Aber wir haben inzwischen auch Bands der Country-Szene aus Nashville herüberlocken können. Und selbst japanische Gruppen nehmen ihre Platten hier auf, weil der Sound nicht so steril ist wie in den technisch perfekten japanischen Studios.“

James Morris, der Chef der Windmill Lane Studios, ist Mitglied des offiziellen „Think Tanks“: Die Dubliner Regierung hat im vergangenen Jahr führende Personen aus der Unterhaltungsindustrie zusammengerufen, die sich Gedanken über die zukünftige Entwicklung der Rockindustrie in Irland machen sollten. Morris warnt jedoch: „Wir dürfen nicht zu viel zu schnell erwarten. Diese Dinge brauchen Zeit und eine solide Grundlage.“

Andere sind optimistischer. Die einflußreiche Musikzeitschrift 'Hot Press‘ behauptet schon seit Jahren, daß Dublin über sämtliche Voraussetzungen verfüge, um zur Musikhauptstadt der neunziger Jahre zu avancieren. „Wir sprechen Englisch, die globale Sprache der Popmusik“, heißt es in einem Hot-Press- Artikel. „Und wir haben mit unserer Folk- Musik bewiesen, daß wir eine natürliche Gabe für Gesang, Musik und Liedermachen haben.“ Daß es damit allein nicht getan ist, wissen natürlich auch die Leute von 'Hot Press‘. Um eine Rock-Industrie aufzubauen, braucht man Produzenten und Techniker, Toningenieure und Roadies, Marketing-Experten und Manager, Wirtschaftsfachleute und vor allem Musiker.

Als ersten Schritt schlägt 'Hot Press‘ daher vor, das Gesetz, das in Irland ansässigen KünstlerInnen Steuerfreiheit garantiert, auf Plattenproduzenten zu erweitern: „In vielen Fällen können berühmte Produzenten gegenüber internationalen Bands und Plattenfirmen durchsetzen, wo sie ein Album aufnehmen. Wir müssen also einen Anreiz schaffen, wodurch Irland für mindestens zehn anerkannte Produzenten als Wohnort attraktiv wird — und das Geschäft für irische Studios könnte sich verdoppeln.“ 'Hot Press‘ prophezeit einen Schneeballeffekt für die gesamte irische Musikindustrie, weil dadurch der Zugang für lokale Bands, Komponisten und Liedermacher zum internationalen Markt erleichtert würde. Nach Ansicht Morris' würde sogar die gesamte irische Wirtschaft davon profitieren: „Wenn eine ausländische Gruppe eine Platte in Dublin aufnimmt, geht nur ein Drittel des Geldes, das sie hier ausgibt, an das Studio. Der Rest verteilt sich auf Hotels, Automietfirmen, Restaurants und die anderen Bereiche, die zum täglichen Leben dazugehören.“

Der Kontakt mit ausländischen MusikerInnen und ProduzentInnen kann den einheimischen Bands nur guttun. Zwar haben seit U 2 eine ganze Reihe irischer Bands den Sprung in die internationalen Hitparaden geschafft, doch fast alle vermitteln eine Sauberkeit, die sich mit dem anarchistischen Hedonismus von „Sex and Drugs and Rock'n Roll“ nicht verträgt. Anders als in den USA und in Großbritannien blieb in der irischen Rockmusik alles tonal, homophon, harmonisch und melodisch: Irische Rockmusik ist „popular music“.

I

hre Wurzeln gehen auf die frühen sechziger Jahre zurück. Damals begannen die überall aus dem Boden schießenden Beatgruppen den etablierten Showbands, die ausschließlich amerikanische und englische Hits spielten, Konkurrenz zu machen. Die Showbands tingelten durch das Land und traten bei „Scheunentänzen“ auf. Die Beatgruppen spielten derweil in Hinterzimmern vor einer wachsenden Fangemeinde. Die erste irische Beatgruppe, die weltweit bekannt wurde, war Van Morrisons „Them Belfast Gipsies“, oder einfach nur „Them“, wie sie sich später nannte. Die Gruppe landete 1965 mit Eigenkompositionen zwei Hits in England. Für irische Gruppen ist der Plattenabsatz in Großbritannien bis heute Gradmesser des Erfolgs: Der irische Markt ist zu klein, um davon leben zu können.

Zehn Jahre später: Aus Beat wurde Rock, und Gruppen wie Rory Gallaghers „Taste“, „Stiff Little Fingers“, die „Boomtown Rats“ und die „Undertones“ sorgten dafür, daß Irland kein weißer Fleck auf der Rocklandkarte mehr war. Neue Gruppen mußten nun nicht mehr ganz so laut an die Türen der großen Plattenfirmen klopfen, um den ersten Plattenvertrag zu bekommen. In einem Land, in dem die Arbeitslosigkeit fast zwanzig Prozent beträgt, ist der Durchbruch im Musikgeschäft für viele Jugendliche oft die einzige Alternative zur Emigration. Neben unzähligen Gruppen, die vermutlich nie den Sprung aus den Übungskellern schaffen werden, gibt es inzwischen eine ganze Reihe Bands, die von ihrer Musik leben können.

Die irische Regierung hat sehr spät bemerkt, daß sich nicht nur mit rauchenden Fabrikschloten, sondern auch mit Kunst und Kultur eine Industrie aufbauen läßt. Erst als die Entwicklung ohne staatliche Unterstützung längst im Gang war, wurde Rock 1987 endlich als Kunst anerkannt. Seitdem fließen Staatsgelder — wenn auch spärlich. Es wurde sogar der Posten eines „Popular Music Officers“ geschaffen, der Seminare für junge Bands organisiert und sie beim Abschluß von Plattenverträgen berät. Zwar bieten die Behörden seitdem Arbeitslosen eine Umschulung zu Tontechnikern oder anderen qualifizierten Berufen in der Rockindustrie an, doch der staatliche „Think Tank“ wird von alten Männern dominiert. Vertreter der Schallplattenindustrie fehlen völlig. Industriesprecher John Sheehan von der Plattenfirma CBS wundert sich darüber: „Die irische Plattenindustrie kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, Irlands Image in der ganzen Welt zu verbessern. Das hätte enorme Auswirkungen auf die Tourismusindustrie.“ Doch dazu benötigen die Plattenfirmen weit mehr staatliche Unterstützung, sagt Sheehan. „Es ist durchaus vorstellbar, daß eine Plattenfirma drei Millionen Pfund (ca. acht Millionen Mark) für eine Gruppe ausgeben muß, bevor sie anfängt, Geld einzuspielen.“ Sheehan fordert vor allem eine Aktualisierung des antiquierten Copyrights, das der Entwicklung „neuer“ Tonträger — und dazu zählen auch Kassetenrecorder — bisher noch keine Rechnung trägt. „Wo immer man hingeht, gibt es kostenlose Musik: im Auto, im Supermarkt, beim Friseur, in der Kneipe und natürlich im Radio und Fernsehen. Wozu sollen Leute dann überhaupt noch Platten kaufen? Und was noch schlimmer ist: Die ständige Berieselung mit demselben Stück wirkt schließlich abschreckend.“

Ob bei den staatlichen Stellen tatsächlich ein ernsthaftes Interesse am Aufbau der Rockindustrie besteht, bleibt abzuwarten. 'Hot Press‘ äußerte den Verdacht, daß die zaghaften Initiativen den Politikern lediglich zum Stimmenfang dienen. Schließlich ist die Hälfte der irischen Bevölkerung jünger als 25 Jahre. So ist zu befürchten, daß Dublin die Chance verschläft, sich zu einem Zentrum der Rockmusik im kommenden Jahrzehnt zu entwickeln.