azz in S Selbstverwaltung

Kein leichtes Unterfangen für ein Projekt:

Dem Anspruch an erstklassige Konzerte zu genügen und gleichzeitig kommerziellen Erfolg anzustreben. Doch mit professionellem Geschäftssinn und einem Händchen für musikalische Highlights ist der Kölner Jazzhaus-Initiative diese Gratwanderung gelungen.

MICHAEL RÜSENBERG hat ihre Erfolgsstory aufgezeichnet.

ätte Luis Bunuel je „Der diskrete Charme der Verwaltung“ gedreht, es könnte eine Szene daraus gewesen sein: ein Tisch, in einem für ein Festmahl zu großen Raum und zwei Dutzend Gäste mit Konfetti im Haar. Kerzenlicht und Zimmerbäume suggerieren Behaglichkeit für wenige Stunden — die Festgesellschaft speist auf einer Baustelle. Diese filmische Assoziation teilte auch ausdrücklich der Gastgeber Jürgen Nordt, als er im Juli 1986, Monate vor Fertigstellung des Konzertsaales im Stadtgarten, eben dort seinen Einstand als neuer Kulturamtsleiter gab. „Am Rande“ sollte es auch eine Geste sein, daß der zweithöchste Kölner Kulturverwalter einen Ort beehrt, dem sein Chef, der Kulturdezernent Nestler, (damals) nichts abgewinnen konnte. Vergangen und vergessen — wie der „Kölner Jazz-Krieg“, der lange Kampf um eine Bruchbude namens Stadtgarten; die zeitweilige Konkurrenz zweier Jazz-Vereine um dieses Objekt; ein Ratsbeschluß von 1980, der auf das falsche Pferd setzt — Material ausH

dem Zeitungsarchiv, das von einer anderen Geschichte zu sprechen scheint als von der Erfolgsstory des Stadtgarten Köln.

Heute buchen die Grünen den Saal, die CDU, der WDR, die Electrola, das Filmfest NRW — der Stadtgarten ist die Adresse in Köln. Und unsereins, die Jazzkritiker, könnten sich der Hauptsache wegen manchmal dort gleich einquartieren, denn „Köln hat als Jazzstadt allen anderen deutschen Plätzen bei weitem den Rang abgelaufen“, wie die 'FAZ‘ unser Vergnügen auf den Punkt bringt. Das Zentrum dieser Hochburg, das ist der Stadtgarten, vor allem der 220 qm große Konzertsaal.

So weit hat es — wohl auch im internationalen Maßstab — keine der zahlreichen Jazzmusiker-Initiativen gebracht. Im Normalfall führt diese zunächst der Frust über ihre Arbeitsbedingungen zusammen, den man freilich auch als Resonanzproblem deuten kann. Da niemand nach Jazzmusikern schreit, müssen sie's schon selber tun. Meist aber, nach den ersten vom Stadtrat spendierten Brosamen der Subvention, versandet ihr Elan, weil es nicht gelingt, Protestenergie in Aufbauenergie umzuwandeln.

Daß also die 1978 gegründete Initiative Kölner Jazzhaus e.V. inzwischen im Schatten ihrer Immobilie „Stadtgarten“ steht, mag man, wie's manche tun, bedauern. Man kann es aber auch als ein Musterbeispiel langen Atems feiern, als notwendiges Produkt zielgerichteten Handelns, wie es aus dieser Szene bislang unbekannt war.

Zugegeben, vor Jahren hat auch unsereins posaunt: „Schafft ein, zwei, viele Jazzhäuser!“ Aber heute wissen wir: der Stadtgarten Köln ist ein Unikat, kein Modellversuch. Wo sonst kamen so günstige Bedingungen zusammen: eine größere Anzahl junger, talentierter Jazzmusiker mit ständigem Zulauf aus einer Musikhochschule; eine Stadt, deren Jazzszene lediglich revitalisiert werden mußte; ein idealer Standort; Musiker, die zugunsten der gemeinsamen Sache die eigene Karriere hintenanstellen?

Seit dem 1. Januar 1984 ist es im Besitz der Kölner Jazzmusiker, seit Ende 1986 in Betrieb, das „Zentrum kultureller Aktivitäten unter besonderer Berücksichtigung der Pflege des Jazz, verbunden mit einer gastronomischen Nutzung“, wie es der Ratsbeschluß nennt. Wiederhergerichtet mit eigenen und Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen, im Wege der Erbbaupacht mietfrei für 50 Jahre. Die „gastronomische Nutzung“ beschränkt sich nun keineswegs auf den üblichen Bierausschank zum Jazz, es ist vielmehr der vielbestaunte, vielbeneidete Clou des ganzen Komplexes — ein schönes Beispiel für in house sponsoring.

Eine „Stadtgarten-Restaurant Betriebs GmbH“ (Geschäftsführer: zwei Gastronomen, zwei Musiker) bewirtschaftet Café und Biergarten, trägt sämtliche Energie- und Nebenkosten und muß an die Initiative als Miete jährlich mindestens 84.000 DM abführen. Der Laden floriert, insbesondere an warmen Sommerabenden, so gut, daß ein jährlicher Mietzins von sogar 230.000 DM aus der Gastronomie in die Subvention des Konzertprogrammes fließt. Neben den Eintrittsgeldern (240.000) und dem Verkauf von Senderechten (210.000) ist dies die wichtigste Einnahmequelle für den Konzertetat von 900.000 DM.

Soviel kostet ein erstklassiges Programm, das keinen Mainstream-Jazz kennt und sich bis zur new music öffnet. Ja, eigentlich kostet es noch mehr, denn 1989 hat der Konzertbetrieb bei 17.000 Besuchern mit einem Defizit von 80.000 DM abgeschlossen (bedingt auch durch Investitionen), die Initiative steht damit bei der Gastronomie in der Kreide. Was einem potentiellen Konflikt jedoch die Schärfe nimmt, ist die Tatsache, daß die Musiker Reiner Michalke und Mathias von Welck (34) an beiden Tischen sitzen: als Gesellschafter mit Geschäftsführergehalt der GmbH, überwiegend aber tätig für die Kultur. Als es vor Jahren ernst wurde, haben die beiden zwangsläufig einen Schnellkurs in GmbH-Recht und Kapitalbeschaffung gemacht, sie wissen sich gegen Brauereien und Lokalpolitiker ebenso zu behaupten wie gegen den abzockenden Jazzstar Steve Coleman.

Mit ihren Instrumenten sieht man die beiden nicht mehr, sie sind Vollzeitmanager auch über den Stadtgarten hinaus geworden, zwei idealtypische Beispiele aus learning by doing. Daß der Jazz, zumal in Köln, „einen anderen Stellenwert bekommt“, wie es von Welck proklamiert, daß die Musik, raus aus den Kellern, „unter wirklich guten Bedingungen“ präsentiert werden soll, ist in vier Jahren Kölner Stadtgarten fraglos gelungen. Daß dazu zwangsläufig Professionalität und Effizienz die erste Geige, pardon: das erste Saxophon, spielen müssen, räumen auch diejenigen ein, denen das Haus zu wenig vom kollektiven Geist der frühen Jahre ausstrahlt.

In der Tat hat der Stadtgarten mehr für die Gattung als für den einzelnen Kölner Jazzmusiker erreicht. Dafür sprechen auch objektive Grenzen. Die Offene Jazzhausschule unterrichtet überwiegend woanders, nicht alle können im Hause proben und mehrmals jährlich auftreten. Daß laut Statistik 1989/90 trotzdem 36 Prozent der Bands aus Köln gekommen sein sollen und nur 19 Prozent aus den USA, ist interpretationsbedürftig. Es spiegelt vor allem die große Beteiligung lokaler Musiker an der „Wildcard“ dem monatlichen Spontanforum, das nur 100 DM pro Nase zahlt.

„Weniger durchreisende Amerikaner, weniger Veranstaltungen, dafür aber avancierter“, fordert zum Beispiel Dirk Raulf, Mitglied der Kölner Saxophon Mafia, der renommiertesten Kölner Band, die — so heterogen im Innern, „daß man's manchmal kaum aushalten kann“ — gleichwohl seit bald zehn Jahren musikalisch mit einem kollektiven Gestus lebt. Die andere ,letzte Insel für kollektives Arbeiten“ pflegt Dirk Raulf zusammen mti drei weiteren Kollegen — das Label „Jazzhaus Musik“. Über 40 Alben sind dort erschienen, und am besten fährt das Label seit einem Jahr, seit die Kölner nach Vertriebspleiten mit Pläne und IMC ihre Platten selbst in bundesweit 30 bis 40 Läden schicken.

Produziert werden vorwiegend CDs. Nur die Kölner Saxophon Mafia leistet sich den Luxus einer parallelen Analog-Veröffentlichung. Ihr sechstes Album „Saxfiguren“, knapp ein Jahr auf dem Markt, ist mit 2.000 (CD) beziehungsweise 1.000 Exemplaren (LP) der Jazzhaus-Bestseller. Das ist beachtlich in einem Markt, wo Schallplatten, ökonomisch betrachtet, keine ernsthaften Einkommensquellen sind. Aber sie kommen ohne jeden Produzenteneinfluß zustande und spielen schneller als die meisten anderen selbstproduzierten Jazzplatten die Kosten wieder ein — welche die Musiker vorfinanzieren müssen. Jazzhaus-Musik stellt kostenlos lediglich das Studio für zwei bis drei Tage sowie einen Graphiker, dazu den Rat jenes vierköpfigen Gremiums, das Veröffentlichungswünsche in guter Kollektivart zwar nicht abschlägt, mitunter aber doch mit ähnlicher Wirkung verschleppt.

Wie der schiere Luxus dürfte anderen deutschen Jazzmusikern obendrein die Stadtgarten Series anmuten, der halbjährliche CD-Sampler quer durch die Kölner Szene. Die Finanzierung verblüfft durch eine weitere Variante: Die Materialkosten sind vollständig durch eine Brauerei als Sponsor gedeckt. Stadtgarten Series ist, was man der vorzüglichen Musik wegen überhaupt nicht merkt, ein Werbegeschenk der Gastronomie GmbH an die Jazzhaus-Initiative!

In Köln spricht eh niemand vom „Jazzhaus“, sondern alle nur vom „Stadtgarten“.