UNHCR: Für Roma nicht zuständig

■ Sinti und Roma blockieren die Grenze zur Schweiz/ Forderung nach Bleiberecht sollte dem Flüchtlingskommissar vorgelegt werden/ Einreise verweigert/ Bundesweite Protestaktionen

Basel/Genf/Essen (taz) — Rund 800 Sinti und Roma, die zur Zeit in der Bundesrepublik und den Niederlanden leben, haben gestern mittag den Autobahngrenzübergang BRD-Schweiz bei Basel blockiert. Die Schweizer Grenzbehörden hatten sie an der Weiterreise zum UNO- Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Genf gehindert. Dort wollten die Roma und Sinti ihre Forderung nach Bleiberecht in der BRD und nach Anerkennung als Flüchtlinge unter der Genfer Flüchtlingskonvention vortragen. Ihr Anliegen an das UNHCR, einen Vertreter von Genf zum deutsch-schweizerischen Grenzübergang zu schicken, lehnte die UNO-Behörde bis zum Redaktionsschluß der taz ab. Sie sei „für die Staatenlosen nicht zuständig“.

Rund 1.000 Roma und Sinti waren in zehn Bussen, 30 Pkws und einigen Wohnmobilen vor allem aus Nordrhein-Westfalen und Norddeutschland am späten Vormittag auf dem Autobahnrasthof Bad Bellingen eingetroffen — rund 25 Kilometer vor der Grenze. Von dort fuhren sie im dreispurigen Konvoi mit rund 30 Stundenkilometern die restliche Strecke bis zur Grenze.

Das führte bereits zu ersten Stauungen und zu zum Teil äußerst aggressiven Reaktionen bei Lastwagenfahrern. Die Schweizer Grenzbeamten verweigerten den Roma und Sinti die Einreise, da sie „keine gültigen Reisedokumente mit sich führten“. Daraufhin legten oder setzten sich rund 800 von ihnen auf die Autobahn und blockierten den Verkehr völlig. Auf Transparenten und in Sprechchören forderten sie ein „Bleiberecht in Deutschland“ und die „Anerkennung als Flüchtlinge“.

Am Grenzübergang Hüningen wurden die Grenzposten verstärkt, um ein „Eindringen“ der Sinti und Roma zu verhindern. Nachmittags wurden per Hubschrauber und in Mannschaftswagen Bundesgrenzschützer und Polizisten an den Grenzübergang verlegt. Sie griffen jedoch zunächst nicht ein, auch, „weil sich so viele Kinder unter den Demonstranten befinden“, wie ein Polizist erklärte. Schweizer Grenzpolizisten hatten sich am Morgen sehr viel rücksichtsloser verhalten. Zwei schon früher am Übergang angekommene Busse wurden auf die auf Schweizer Seite gelegene Raststätte Weil gewiesen. Die Insassen, darunter ebenfalls zahlreiche Kinder, mußten aussteigen und sich mit erhobenen Händen an die Wand stellen, wo sie untersucht wurden.

Am Nachmittag errichteten die Roma und Sinti auf dem Grünstreifen an der Autobahnabfahrt Weil Zelte und zündeten Lagerfeuer an. Sie hatten bereits vor drei Tagen die Schweizer Regierung und das Flüchtlingshochkommisariat der UNO von ihrer Reiseabsicht informiert. UNHCR-Sprecher Raymond Hall erklärte gegenüber der taz, seine Behörde sei „nicht zuständig“, da es sich bei Roma und Sinti um „Staatenlose“ und nicht um Flüchtlinge nach der Definition der UNO- Flüchtlingskonvention von 1951 handele. Eine entsprechende Anerkennung sei auch „schwer vorstellbar“. Nach einem solchen Präzedenzfall könnten ja „viele andere kommen“. Welche UNO-Behörde denn überhaupt für Staatenlose zuständig ist, konnte er auch nicht sagen. Im übrigen hätten die Roma und Sinti ja auch beim UNHCR-Außenbüro in Bonn vorsprechen können. Die Entsendung eines UNHCR-Vertreters sei „zunächst nicht vorgesehen“.

Mit verschiedenen Aktionen im Ruhrgebiet und in Köln erinnerten Roma- und Solidaritätsgruppen gestern an die Reichspogromnacht und unterstützten die Forderungen an den Hohen Flüchtlingskommissar in Genf. Unter den Roma auf dem Weg nach Genf befinden sich einige hundert aus Nordrhein-Westfalen, die nach ihrem Rhein-Ruhr-Bettelmarsch Anfang dieses Jahres auf eine entsprechende Zusage von Innenminister Herbert Schnoor (SPD) hin einen Antrag auf einen Daueraufenthalt in NRW als De-facto-Staatenlose gestellt hatten.

Für eine Stunde besetzten gestern vormittag Roma-UnterstützerInnen das SPD-Büro im Recklinghauser Rathaus. Sie verlangten erneut, NRW solle eine erste Bleiberechtsregelung für Roma noch vor Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes Anfang nächsten Jahres umsetzen. Bürgermeister Welt sagte ihnen ein Gespräch für Montag zu, in dem es auch um die schlechte Unterbringung in der Stadt und die Auseinandersetzungen mit einer Anti-Roma-Bürgerinitiative gehen wird.

Am Nachmittag machten Roma in der Duisburger Innenstadt mit Transparenten darauf aufmerksam, daß sich gestern die Reichspogromnacht zum 52. Mal jährte, die auch die Vertreibung und Vernichtung der Roma und Sinti eingeleitet hatte. Bis 1945 ermordeten die Nazis eine halbe Million Roma und Sinti. In Hagen fand am Abend eine Demonstration gegen die derzeitige Flüchtlingspolitik statt, an der sich neben Roma- Gruppen auch andere Flüchtlinge beteiligten. Die DemonstrantInnen forderten, die Sozialhilfe wieder auszuzahlen und die derzeit katastrophalen und ungerechten Zustände bei der Verteilung von Lebensmitteln und Wohnraum zu beheben. In Köln kletterten DemonstrantInnen auf das Dach des Hansa-Hochhauses, wo sie sich verbarrikadierten. Sie kündigten an, bis heute mittag auszuharren. azu/thosch/bm