Großer Bann

■ Polnische Kulturtage der Kulturetage Oldenburg: „Sczena Plastyczna“ aus Lublin

hierhin bitte das

kontrastreiche

Kleinbild mit

menschlicher

Silhouette

Daß polnisches Theater anders ist, weiß ich von Eugen Wohlhaupter, der im „Kursbuch“ die sorgfältigsten Theaterkritiken der Stadt verfaßte. Das ist doch noch Theater, hat der gesagt, als das „Theater des achten Tages“ mit seinen Bildern aus Schrei und Kreuzesqual in Bremen war. Das ist doch was anderes als unser Mitmachtheater oder die staatlich opulente Leere.

Gegen den anstehenden Mystizismus aus dem Osten — „Scena Plastyczna“ kommt von der katholischen Universität Lublin — hatte ich mich mit reichlich Oldenburger Grünkohl und Pinkel geerdet. Dann über die Bahngleise geklettert, hinter der Bahn ins Stockfinstere getappt, die anderen Schaulustigen irgendwo ertastet, plötzlich mit denen losgegangen: am Wege kauern singende Menschen, ziehen mit uns, einen Weg, den Kerzen weisen, vorbei an einem Kind, das in einem der verlassenen Bahnschuppen ein gepanzert Fahrzeug über Holzpuppen steuert, an einem Paar, das sich in einer leeren Riesenhalle zu tonlosem Walzer dreht. Ob wir wollen oder nicht — und die meisten wollen nicht und schwatzen naßforsch dagegen an — die Performance der „Kulturetage“ hat uns längst in eine Prozession von Pilgern verwandelt, die mit jedem Schritt mehr durch den Boden von Oldenburger Zeit und Raum in versperrtes, versunkenes Traumgelände fallen.

Und wer immer seine aufgeklärte Schnoddrigkeit verteidigt hatte, verlor sie im Dunkel auf den harten Bänken der Wagenhalle III mit den „Fesseln“ von Scena PLastyczna: Theater ohne Handlung, ohne Figuren, man sitzt in Tönen aus atmendem Weltall und erkennt immer — nichts. Nichts Genaues. Ja, gut, ein Vogel flattert in einem Vorhang, ein Mensch läuft. Erst nah sehn wir seine Sohlen sich heben, dann weiter weg. Je weiter weg, desto deutlicher. Manches ist ein bißchen schauerlich, Flatterwesen auf Särgen, dann bewegt es sich, sind keine Särge, sind jetzt eine Art Michelin-Unwesen. Alles nicht grausam. Menschen in Wannen, aber nicht verspannt, verklemmt wie in Kresniks Macbeth. Einfach nackte fleischliche Rücken, die sich, als das erstemal menschliche Stimmen laut wurden, hinten von der Bühne bewegen, sie leer lassen. Ende.

Augenreiben. „Bist Du eingeschlafen?“ Vielleicht. Sicher kein Theater der Aufklärung über's Hirn. Aber ein präzise konstruiertes Eintauchen in eine zweite Welt aus Atem, Licht, Dunkelheit, der Lust zu erkennen, was sich bewegt und nicht erkennbar ist. Heftig Mystik, großer Bann. Uta Stolle

23./24.11., 20.30 Wagenhalle 3: Theater des achten Tages. Tele: 0441 /177 12