Ohne Abstimmung auf der Titanic

■ Hans Jonas in Bremen: Apokalyptische Visionen und drohende Tyrannis

Was kann die menschliche Forschungsneugier noch zügeln? Wie können wir dem zerstörerischen Drang zu machen, was machbar ist, aufhalten? Mit Fragen einer naturwissenschaftlichen Ethik befaßt sich der weltbekannte Philosoph Hans Jonas schon seit drei Jahrzehnten. Am Sammstag kam der 87jährige auf Einladung der Universität Bremen zum Podiumsgespräch in die „Glocke“. Fast 600 ZuhörerInnen füllten die Sitzreihen, einige standen. Für sein Buch „Das Prinzip Verantwortung“ erhielt Hans Jonas 1987 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Jonas, 1903 in Deutschland geboren, emigrierte 1933 zunächst nach England, dann nach Palästina, übersiedelte später nach New York. Mit auf dem Podium: die Hochschullehrer Rainer Hegselmann, Gerhard Roth und Hans-Jörg Sandkühler.

Ist Hans Jonas, der Moralphilosoph, mehr als ein Mahner unter vielen? Hans Jonas will uns nicht ermahnen. Er will uns erschrecken. Und das gelingt ihm, gründlich. „Wir sollen unsere nachfolgenden Generationen lieben wie eine Mutter ihren Säugling? Was soll uns dazu motivieren?“, argwöhnt gleich zu Beginn der „praktische Philosoph“ Rainer Hegselmann bezugnehmend auf Jonas. „Falsch wiedergegeben“, kontert der. Das mit der Mutterliebe sei nur „paradigmatisch“ gemeint für eine „einseitige Verantwortung“, die nicht nach Gegenleistungen frage. „Ob wir das kollektiv vermitteln können, scheint mir die Überlebensfrage der Menschheit geworden zu sein.“ Und dazu will er uns das Fürchten lehren — über unsere Phantasie. Das nennt Jonas die „Heuristik der Furcht“. „Es muß möglich sein, ein Erzittern zu erregen in den Herzen der Menschen.“ Hegselmann dagegen praktisch: „Eine Moralphilospophie, die sich auf Mitleid stützt?“ Nein, dafür hat Jonas nur ein müdes Lächeln. „Da muß mehr im Spiel sein als Gutmütigkeit.“

Seine Forderung: Die Naturwissenschaftler müssen auch die denkbar schlechtesten Folgen ihres Forschens mitliefern. Nur so könne der „Pfad der Vorsicht“ gefunden werden. Dafür brauchen die Moralphilosophen die Naturwissenschaft, und die wiederum die die Moral.

Der Neurobiologe und Philosoph Gerhard Roth traut seinen Kollegen nicht. Schließlich schicke sich die Naturwissenschaft an, sogar an künstlichem Leben zu basteln. Jonas: „Hier beweist die Naturwissenschaft Unzulänglichkeit.“ Denn sie ignoriert Bewußtsein und Willen - objektiv vorhanden „wie die Moleküle“.

Noch mit einer anderen Vision will Hans Jonas uns erschrecken. Hans-Jörg Sandkühler, als Wissenschaftstheoretiker für die „politischen Implikationen“ zuständig, fragt danach. „Die Demokratie, so haben Sie mehrfach behauptet, sei nicht unbedingt die geeignete Staatsform, um die Welt zu retten.“ Natürlich, so Jonas, sei die Demokratie wünschenswert. Aber eins sei sicher: „In einem sinkenden Boot hören die Abstimmungen auf.“

Wahrscheinlich aber würde uns erst „eine Serie von kleinen Katastrophen“ aufschrecken. Aber es ist ihm nicht entgangen, „daß sich so etwas wie ein Bewußtseinswandel anbahnt“. All das zusammen „Phantasie, Schrecken und guter Wille“ könnten unsere Welt retten. Jonas: „Aber mehr als eine Hoffnung ist das nicht.“

Beate Ramm