Lummer: »Wir werden beide klein bleiben«

■ Wie Heinrich Lummer (CDU) sich am Freitag unters Kneipenvolk mischte

Wedding. Das Volk hat ihn vergessen. Wenn der frühere Innensenator Heinrich Lummer (CDU) abends durch Kneipen bummelt, muß er schon an die Tische kommen und das Gespräch beginnen. Wenigstens in einem Lokal, der »Brunnenquelle«, war am letzten Freitag Stimmung. Kaum daß er dort zur Tür hereinkommt, ist Lummer auch schon im hinteren Zimmer verschwunden, wo Parteifreunde warten. Im vorderen Raum werden immerhin Postkarten und eine Platte (Ich kenn' eine Stadt — Berlin, Berlin, Berlin) des Unionschristen verteilt. In einem Hinterzimmer präsentiert sich Lummer in dunkelblauem Wollpulli und weißem Kragenhemd. Für Autogrammwünsche ist vorsorglich ein dicker Edding gezückt.

Springers Journalistenschule hat fünf Schüler angekarrt — und die bringen das Kneipengespräch in Gang. »Sie kandidieren für den Bundestag und für das Abgeordnetenhaus«, fragt einer mit gezücktem Block, »aber sie können sich doch nicht zweiteilen?« Er werde sich nach den Wahlen für eines der Mandate entscheiden, antwortet der Politiker. Langsam hat sich eine Traube Neugieriger am Zugang zum Hinterzimmer gebildet. Jetzt kommt endlich auch ein Thema, bei dem der 1986 zurückgetretene Innensenator sich profilieren kann: Über 130 besetzte Häuser im Ostteil Berlins. Alle räumen? Der ehemalige Skandal-Senator, der Mitte der 80er Jahre einen Großteil der 160 in West-Berlin besetzten Häuser von prügelnden Polizeihorden räumen ließ, holt weit aus.

Drei Gruppen von Hausbesetzern gebe es, erklärt der Hobby-Soziologe und bohrt sich dabei den Autogramm-Stift immer wieder tief in seine Wange. Die einen wollten mit 16 Jahren nicht mehr zu Hause wohnen. Die zweite Gruppe seien die »Abenteurer« und wollen »Gaudi«. Bleibt die dritte Gruppe der Bösartigen: Die besetzten, um den Staat vorzuführen. Wäre die CDU Regierungspartei, verspricht Lummer, müßten alle raus, wenn die Bauarbeiter vor der Tür stehen. Und Asylbewerber dürften auch nicht mehr nach Deutschland kommen, solange es keine Wohnungen gibt. Doch danach enttäuscht Lummer sein Publikum: Für die 20 Obdachlosen, die am vergangenen Donnerstag angekündigt hatten, illegal ein Haus zu besetzen, würde er versuchen, Ersatzwohnungen zu finden.

Ein Besucher, der sich als »echter Spiegel-Leser« zu erkennen gibt und etwa ein Meter sechzig groß ist, fragt in Anspielung auf Lummers Stasi- Affäre lallend, was der Spitzenpolitiker in »Ost-Berlins Hotelbetten getrieben« habe. »Ich habe weder in Hotelbetten übernachtet, noch was getrieben«, antwortet der Bundestagsabgeordnete und fügt hinzu: 'Spiegel‘ und 'Stern‘ zu dementieren, lohne nicht. »Aber ich würde mich doch nicht mit Dreck beschmeißen lassen«, ist der 'Spiegel‘-Leser erstaunt. »Doch«, versucht Lummer zu klären. »Die Polizei muß sich ja auch mit Dreck beschmeißen lassen«, hilft ihm jemand aus der zweiten Reihe vom Zugang. Dann wieder Lummer: Der 'Stern‘ solle erstmal selbst klären, was er mit den »Hitlertagebüchern getrieben« habe. Das Lokal lacht, die CDU-Basis klatscht und ist erleichtert, wie geschickt Lummer mit diesem Witz seine unbewältigte Stasi-Vergangenheit unter den Kneipentisch kehrt.

Nächstes Thema: Polizeivereinigung. Da hat Lummers Zucht-und- Ordnungs-Mentalität ein Ende. Ex- Stasi-Mitarbeiter und Parteifunktionäre, so seine Devise, könne man nicht allesamt rauswerfen. Und — heute ist 9. November — Lummer will es mit den Erfahrungen unserer ureigensten Geschichte erläutern. Die Nazis habe man schließlich auch nicht alle rauswerfen können, weil sonst nichts mehr gelaufen wäre. Da meldet sich der angetrunkene Magazin-Leser erneut: »Überall tauchen sie wieder auf und schieben sich Pöstchen zu — und die kleinen Leute gehen leer aus.« Lummer bleibt auch hier keine Antwort schuldig: »Aber wir beide werden so klein bleiben, wie wir sind.« Der Saal lacht. So kennt und mag ihn das Volk wieder: Lummer klein und unschuldig. Die Pöstchen warten im Hintergrund. Dirk Wildt