piwik no script img

Verhältnisse und Verhinderungen

Biographien zu Clara Schumann und Nannerl Mozart  ■ Von Heide Soltau

Als niedliche Kinder am großen Klavier sind sie beide berühmt: Nannerl Mozart (1751-1829) und Clara Wieck (1819-1896). Doch was für die eine der Auftakt einer großartigen Karriere ist, erweist sich für die andere nur als Abstecher in die Gefilde der Kunst. Sobald Nannerl den Schmelz der Jugend eingebüßt hat, heißt es Schluß mit den öffentlichen Auftritten. Wie andere Mädchen zwängt man sie in das Korsett der Weiblichkeit. Aus dem talentierten Kind wird eine Frau, die feiner Leute Sprößlinge Klavierunterricht gibt, bevor man sie in den Hafen der Ehe abschiebt. Nannerl endet als biederes Hausmütterchen, während Clara Triumphe feiert — allerdings nur als Pianistin. Als Komponistin kann sie zeit ihres Lebens nicht reüssieren.

Zwei Künstlerinnenbiographien, aufgeblättert von zwei renommierten Musikwissenschaftlerinnen: von Eva Rieger und Eva Weissweiler. Ihnen verdanken wir die ersten Bücher zum Thema Frauen und Musik und wissen inzwischen, daß es Komponistinnen und Musikerinnen gab, die Außergewöhnliches leisteten, auch wenn die Spurensuche kein weibliches Genie wie Bach, Mozart oder Beethoven zutage gefördert hat. Doch wir kennen die Gründe: die „Verhältnisse und Verhinderungen“, die geschlechtsspezifische Erziehung und ihre Folgen... Die traurige Geschichte hat sich x-mal abgespielt. Ungezählte Frauen, potentielle Künstlerinnen, waren Opfer dieser Rollenzuschiebungen. Bedauerlicherweise.

Aber müssen wir die Klage fortwährend wiederholen? Wir wissen längst: Genie ist weder angeboren noch allein dem männlichen Geschlecht vorbehalten. Die sozialen Bedingungen spielen eine entscheidende Rolle. Ohne vernünftige Förderung kann auch der musikalischste Mann nicht die Stufenleiter des Erfolgs erklimmen. Was bringt es, den Lebensweg einer Frau im Schatten eines berühmten Mannes zu verfolgen, wenn von vornherein klar ist, daß sie nicht durfte, wie sie konnte — und manchmal sogar wollte?

Nichts, wie die Biographie der Mozart-Schwester belegt. Schon die steif formulierte These Eva Riegers ruft gähnende Langeweile hervor: Sie will zeigen, „daß Nannerl, durch ihre gesellschaftliche Situation als Frau bedingt, es nicht annähernd so weit gebracht hätte wie Wolfgang, selbst wenn sie ein ähnliches Begabungspotential wie ihr Bruder besessen hätte“. Schuld ist natürlich das Patriarchat. „Männlich orientierte Kultur kann [...] nur funktionieren, wenn Frauen ihre untergeordneten Rollen spielen“, lautet der letzte Satz der Biographie. Sie hat ja recht, die Hildesheimer Dozentin für Musikgeschichte und Musikdidaktik, aber dieser Ohrwurm ruft heute nur noch Achselzucken hervor. Platte Parallelen zum 18. Jahrhundert konnten uns allenfalls vor zehn oder fünfzehn Jahren Aha-Erlebnisse bereiten. Inzwischen gibt es hervorragende Bücher über begabte Frauen im 18. Jahrhundert: Renate Ferls Roman über die Gottschedin oder auch Sigrid Damms Erzählung über Cornelia Goethe zum Beispiel. Während Ferl und Damm Fakten und Fiktionen verweben, hat Ulrike Prokop eine kluge, einfühlsame wissenschaftliche Studie über die Goethe-Schwester vorgelegt. Ein Beleg, daß es möglich ist, auch das Leben einer künstlerisch unbedeutenden Frau lebendig werden zu lassen. Voraussetzung ist freilich ein interpretierender Umgang mit dem historischen Material und, vor allem, die Aufgabe der ebenso banalen wie bequemen Opfer-Täter-Theorie. Zu beidem fehlt Eva Rieger das Format. Sie klebt an den — wenigen — Fakten (weil die Mozart-Schwester kaum etwas hinterlassen hat, muß sie auf längst bekannte Briefe von Bruder und Vater zurückgreifen) und präsentiert uns Nannerl eben doch über weite Strecken als das arme, von Vater und Bruder ausgenutzte Hascherl. So sind wir nach vierhundert Seiten so klug wie zuvor und dürfen einmal mehr über die Ungerechtigkeit der Welt seufzen.

Darüber hinaus war Nannerls Mozart „eine passive und selbstgenügsame Frau“, die es hinnahm, als der Vater mit Wolfgang allein durch die Lande reiste. Gehorsam ging sie eine Vernunftehe ein und starb hochbetagt mit 78 Jahren. Aber, so der einzig originelle Gedanke in dieser Biographie: Nannerl war „keine verbitterte, enttäuschte Greisin, sondern eine liebenswürdige, alte Dame, die das treue Gedenken an den Bruder in Ehren hielt“. Die ältere Schwester eines Genies eben. „Nie war sie mehr, nie wollte sie mehr sein.“ Mit anderen Worten, an Nannerl Mozart gibt es nichts, aber auch gar nichts zu entdecken. Daß sie farblos war, wußten wir schon aus anderen Biographien, jetzt wissen wir auch, daß sie nicht verbittert starb. Wenigstens das.

Eva Weissweiler dagegen hat ein bahnbrechendes Buch geschrieben. Mit ihrer Clara-Schumann-Biographie präsentiert sie die Charakterstudie einer faszinierend lebenstüchtigen, erfolgreichen und egoistischen Künstlerin, die bis in unsere Zeit hinein zugleich verkannt und heroisiert wird, im positiven wie im negativen Sinne. Auch von der musikalischen Frauenbewegung.

Clara ist zehn Jahre alt, als sie das erste Mal einen Konzertabend bestreitet und zum Entzücken des Publikums sogar zwei eigene Kompositionen zum Besten gibt. Aber welche Torturen liegen hinter ihr? Sie spielt nicht Puppen, sie spielt Klavier, muß seit ihrem vierten Lebensjahr Klavier spielen. Vater Wieck, Klavierlehrer und Besitzer einer Pianofortefabrik, drillt sie unbarmherzig zu seinem Aushängeschild. Wunderkinder will er heranziehen, zunächst und vor allem aber die eigene Tochter zum Star trainieren. Nachdem ihm die Frau mit einem anderen durchgebrannt ist, wird Clara sein ein und alles, sein „Meisterwerk“, sein „Trillerpüppchen“. Er bestimmt, bestimmt, was sie spielt, und bestimmt, was sie zu sein hat. Als die Tochter vier ist, beginnt er mit ihrem Tagebuch: „Ich lernte schnell hintereinander“, schreibt er in Claras Namen. Und sie gehorcht, lernt tatsächlich in atemberaubendem Tempo das Pianoforte zu bearbeiten. Virtuos und effektvoll, so wie es der Vater verlangt. Clara, das begabte Kind, genießt den beginnenden Ruhm. Bis sie in die Pubertät kommt und merkt, daß die Welt nicht nur aus Klaviertasten besteht. Inzwischen hat sie Robert Schumann kennengelernt, neun Jahre älter als sie und ein eigenwilliger Schüler ihres Vaters. Eine Krise bahnt sich an mit dem Ergebnis, daß sie Robert schließlich heiratet [seltsame Krise, die solche Ergebnisse zeitigt, d. s-in]. Die Ehe gerät zum Fiasko. Hätte sich Vater Wieck nicht so strikt dagegen gewehrt und den Versuch unternommen, die Verbindung gerichtlich zu verhindern, wäre Clara vielleicht zur Vernunft gekommen. Denn die romantische Liebe zu Robert war eigentlich schon vorher erloschen, und daß er Mühe haben würde, eine Familie zu ernähren, ahnte sie auch. Die Heirat war vielmehr der ohnmächtige Versuch, sich aus den Klauen des übermächtigen Vaters zu lösen.

Der eheliche Alltag gestaltet sich denn auch schnell zur Qual. Nach fünf Jahren hat sie vier Kinder zur Welt gebracht, vier weitere sollten noch folgen. Robert nimmt es mit seinen ehelichen Rechten sehr genau, wie das Haushaltsbuch belegt, in dem er akribisch jeden Beischlaf notiert. Ansonsten braucht er Ruhe für seine Kompositionsarbeit, für Claras Klavierspiel bleibt viel zu wenig Zeit. Immer wieder muß sie auf ihr altes, bewährtes Repertoire zurückgreifen, und als sie sich endlich entschließt, Roberts großes a-Moll- Konzert zu spielen, reagieren die Kritiker mit dürren Worten. Robert wird gefeiert, Clara als Interpretin nur höflich erwähnt. „Einer wird immer im Hintergrund stehen, er oder sie“, eine bittere Erkenntnis für die erfolgsgewohnte Clara.

Gleichwohl interpretiert Eva Weissweiler Clara Schumanns Leben nicht als Passion. Sie war nicht bloß Opfer der Verhältnisse. Ein kränkelnder Mann und ein Stall voll Kinder, Clara wußte, sich dem zu entziehen. Sie ging auf Reisen und konzertierte. Mit „automatenhafter Sicherheit“ schreitet sie in allen Lebenslagen zum Klaiver. Je mehr ihr die häuslichen Sorgen über den Kopf wachsen, um so energischer „drischt“ sie die Musik herunter. Als Roberts Krankheit sich verschlimmert, sorgt sie dafür, daß er in die Psychiatrie kommt und dort auch bleibt. Froh, diesen labilen Mann endlich los zu sein, stürzt sie sich in eine Beziehung zu Johannes Brahms. Robert muß über zwei Jahre auf ihren Besuch warten. Herzzerreißend sind seine Briefe und erschreckend kühl und gleichgültig ihre Antworten. Aber kann man es Clara übelnehmen? Sie ist siebenunddreißig und Mutter von sieben heranwachsenden Kindern. Auf wievieles hatte sie für Robert verzichtet? Auf die künstlerische Weiterbildung, auf eigene Kompositionen, auf interessante Reisen. Wenn sie auf Tournee geht, dann auch, weil sie Geld verdienen muß. Ihrer Energie ist es zu verdanken, daß die Familie materiell nicht an den Rand des Ruins gerät. Wie hätte sie bei diesen Belastungen noch sensibel und liebevoll sein können?

Eva Weissweiler entmystifiziert Clara Schumann. Sie war nicht die „Hohepriesterin“ des Konzertsaals und nicht die treusorgende Ehefrau und Mutter, als die sie in die Annalen der Geschichte eingegangen ist. Das Paar Robert und Clara hat eine ziemlich grauenvolle Ehe geführt, ihr Verhältnis war geprägt von Kampf und Rivalität. Beide wußten genau, wie sie einander verletzen konnten, und Clara war eben die lebenstüchtigere. Eva Weissweiler verfällt jedoch nicht in den Fehler, aus der Heiligen Clara nun ein Ekel zu machen. Sie entwirft das differenzierte Bild einer Frau, der es zeit ihres Lebens an Muße und Unterstützung fehlte, ihr eigenes Ich zu entwicklen. Clara, die begabte Vater-Tochter, funktionierte im Alltag wie eine Maschine und ließ ihr Inneres ebenso verkümmern wie ihre kompositorische Kreativität. So wurde aus dem strahlenden Wunderkind eine verhärtete Frau, die nur einmal Konzerte absagte und sich zurückzog und weinte: als der Vater starb.

Eine brillant geschriebene, sorgfältig recherchierte Biographie und ein hervorragendes Beispiel, wie spannend Frauenforschung sein kann, wenn sie sich freimacht von simplen Schwarz-Weiß-Malereien.

Eva Rieger: Nannerl Mozart · Leben einer Künstlerin im 18. Jahrhundert. Insel Verlag Frankfurt/ Main. 405 S., 38 DM

Eva Weissweiler: Clara Schumann · Eine Biographie. Hoffmann und Campe Verlag Hamburg. 397 S.,

38 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen