: Mit dem Öko-Auto in den Verkehrskollaps
IG Metall und Naturschutzring suchen auf gemeinsamer Konferenz nach Alternativen in der Verkehrspolitik/ Des Deutschen liebstes Spielzeug, das Auto, wird nicht infrage gestellt/ Dennoch wollen alle eine natur- statt autogerechte Gesellschaft ■ Aus Frankfurt Martin Kempe
„Wir werden darauf ganz marktgerecht reagieren“, meinte Franz Steinkühler, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall (IGM), begleitet vom amüsierten Geraune des Publikums. Der Käufer entscheide schließlich, ob er Öko-Autos oder hochgezüchtete Rennmaschinen wolle, und die Industrie habe sich danach zu richten. Steinkühler war am Sonnabend während der abschließenden Podiumsdiskussion auf der von IGM und dem Deutschen Naturschutzring gemeinsam veranstalteten zweitägigen verkehrspolitischen Konferenz zum Spiel in eine Rolle geschlüpft, die ihm offensichtlich gut liegt: Vorstandsvorsitzender eines großen deutschen Autokonzerns. Auch die anderen PodiumsvertreterInnen hatten keinerlei Probleme, sich in die ihnen von Moderatorin Petra Lidschreiber zugedachten Rollen einzufinden. Der Vorstandsvorsitzende und designierte Bundesbahn- Chef Heinz Dürr propagierte in seiner Spielrolle als Sprecher der Spediteursinnung die „Integration der Verkehrsträger“ und wurde darin von der Geschäftsführerin des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie, Erika Emmerich, unterstützt, die sich auf dem Podium zur designierten Bundesbahn-Chefin wandeln mußte. Joschka Fischer von den Grünen meinte, er würde als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats im gleichen Autokonzern als erstes zu seinem Chef Steinkühler gehen und von ihm die langfristige Sicherung der Arbeitsplätze in der Autoindustrie fordern: durch Entwicklung von Alternativen zum drohenden Infarkt des Individualverkehrs.
Das Rollenspiel oben auf dem Podium offenbarte nicht nur die erstaunliche Wandlungsfähigkeit der Multifunktionäre auf dem Podium, sondern auch ihre Unfähigkeit zu radikaler Infragestellung des liebsten Spielzeugs der Deutschen, des Autos. Lediglich Hubert Weinzierl vom BUND beharrte darauf: „Es gibt kein umweltfreundliches Auto.“ Auch das emissionsärmste, vollständig recyclebare Auto erfordere die Zubetonierung von Landschaft und verstopfe die Städte. Die „Sinnfrage“ in bezug auf den Mobilitätswahn der modernen Gesellschaft sei ausgeklammert, und von daher wird es wohl, so Weinzierl, auf absehbare Zeit so weitergehen wie bisher: Auf die unhaltbaren Zustände auf den deutschen Straßen wird mit technokratischen Verbesserungen am einzelnen Fahrzeug und in der Verkehrssteuerung reagiert. Eine grundlegende Wende in der Verkehrspolitik ist nicht zu erwarten.
Dennoch konstatierte Weinzierl auch Positives. Eine Konferenz wie diese sei vor einigen Jahren überhaupt noch nicht denkbar gewesen. Tatsächlich war die Konferenz von Seiten der IG Metall ein Versuch, sich zur Umweltbewegung hin zu öffnen, und zwar in einem gleichberechtigten Dialog. Rund 1,2 Millionen Beschäftigte sind in Deutschland von der Autoherstellung direkt oder indirekt abhängig, und die IG Metall sieht die Gefahr, in ihrem wichtigsten Organisationsbereich in eine „Akzeptanz- und Absatzkrise“ hineinzurutschen, die nach Steinkühlers Einschätzung „die Probleme der Küsten- und Stahlstandorte noch weit übertreffen“ würde. Ausgehend von derartigen Befürchtungen hat sich auch das ökologische Gewissen der Gewerkschaften geschärft: Die Luftverpestung durch die Autoabgase, die Zerstörung von Städten und Landschaften durch den Individualverkehr, die Notwendigkeit einer Wiederverwendbarkeit der im Auto verbauten Materialien, die Perversionen des Geschwindigkeitswahns der Autokontrukteure — das alles sind innerhalb der Metallgewerkschaft keine Tabuthemen mehr.
Auf der Konferenz wurde erstmals sichtbar, daß unter dem Problemdruck des zusammenbrechenden Verkehrs mit immer neuen Motorisierungswellen und Staurekorden in West und Ost die Einsicht in die Notwendigkeit einer Wende wächst. Auch wenn fast keine der KonferenzteilnehmerInnen auf die erreichte Mobilität verzichten möchte, so weiterrollen wie bisher kann es nicht. Diese Einsicht hat sich bis in Vorstände und Entwicklungsbüros der Autokonzerne durchgesetzt. Daniel Goudevert, ehemaliger Vorstandsvorsitzender bei Ford in Köln und jetzt im Vorstand von VW in Wolfsburg, setzte sich für eine radikale Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene ein, ohne natürlich das Auto in seiner „Komplementärfunktion“ infrage zu stellen. Stolz präsentierten die Konzerne ihre Entwürfe für Stadtmobile mit Elektro-, Wasser- oder Hybridantrieb, die sie allerdings regelmäßig nicht zur Serienreife bringen und anbieten. Selbst Betonkopf Werner Niefer, Vorstandsvorsitzender von Mercedes-Benz, war bemüht, die Umweltvorzüge seiner Nobelkarossen in den schönsten Farben zu schildern.
Auf dem Frankfurter Kongreß war über die notwendige Wende von der auto- zur menschen- und naturgerechten Gesellschaft Einigkeit zu erzielen. Auch über die Instrumente — von der Öko-Steuer für den Energieverbrauch bis zur Entwicklung integrierter Verkehrskonzepte — bestand Einigkeit unter Naturschützern, Gewerkschaftern und auch Industrievertretern. „Und trotzdem“, so ein Diskussionsteilnehmer, „läuft es in die andere Richtung.“
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