"Outing": Die Biographie des Einzelnen wird ergänzt

■ betr.: "Hexenjagd in Hollywood", taz vom 7.11.90

betr.: „Hexenjagd in Hollywood“, taz vom 7.11.90

Da ist von „Hexenjagd“ die Rede und von „Opfern“, von „faschistischen Methoden“ und von der „Kommunistenhatz“ während der „McCarthy- Ära“. Was passiert, daß solch grobkörnige Verurteilungen verdient?

Prominente Homosexuelle in den USA werden geoutet, ihre Namen — bislang nur gehandelt im Ghetto- Tratsch der „gay community“ — stehen plötzlich auf den Titelseiten der Schwulenmagazine. Die Yellow- und Sensationspresse nutzt den Dammbruch und zieht nach mit verkaufsfördernden Schlagzeilen. Und die linke und linksliberale Presse in den USA sieht sich im Gegenzug als Hüter der höheren Werte und der Moral. Da will die taz nicht nachstehen und druckt in vorauseilendem Gehorsam das Scheinheilige des amerikanischen Feuilletons nach. Just jenes Feuilleton spielt sich jetzt auf als Verteidiger prominenter TV- Helden und Serienstars, für die sie bislang maximal ein höhnisches Lächeln bereithielten. Da macht man sich mit einem Mal Sorgen um Karrieren und Portemonaies, und John Travolta wird zum Märtyrer, ein „Opfer“ böser Zungen.

Dabei wird beim Outing lediglich die Biographie des Einzelnen ergänzt: Da wird ein Schauspieler zum Schauspieler mit Freund, das Leben eines Literaten zu einem schwulen Leben, und auf die Sportlerin wartet zu Hause die Freundin, nicht der Herr mit Hund.

Obwohl der Autor des taz-Nachdrucks Lazar, lieber von „Sexualleben“ spricht, von „sexuellen Vorlieben“, von „Sexualreport“, geht es lediglich — und das aber mit Nachdruck — um ein homosexuelles Leben, um eine homosexuelle Existenz. Was ist dran an einem solchen Leben, daß niemand darüber reden darf? Warum sind hier die Regeln und Verkehrsformen anders als jene, die selbstverständlich für jeden Heterosexuellen gelten? Für solch simple Vergleiche ist Lazar nicht zu haben. Da läßt er statt dessen die schwule „Enthüllung“ in einer Reihe zitieren mit „Drogenkonsum“ und „Ehebruch“. Damit ist die Linie zum Abseitigen — vielleicht Krankhaften? — gesichert.

Nicht einmal davor schreckt Lazar zurück, sich Gedanken zu machen über eine „hypothetische outing-Gesetzgebung“, den juristischen Schutz vor allzuviel offenen Worten. Werden diese Gesetze dereinst auch für mich und jeden anderen Schwulen und jede Lesbe gelten, wenn wir öffentlich „denunziert“ werden als Heterosexuelle? Und wieviele Zeugen sind dann vonnöten, wenn wir (hetero)„sexueller Ausschweifungen“ überführt werden sollen?

Nur eine Ausnahme als Outing- Motiv läßt Lazar — wenn es denn sein muß — gelten: Böse Homosexuelle, „homosexuelle Gesetzgeber..., die Gesetze gegen Homosexuelle machen“, dürfen öffentlich genannt werden. Damit die bösen Homosexuellen vom Posten und aus der Öffentlichkeit verschwinden. Der Kreislauf von Erpressung, Denunziation und öffentlichem Druck bleibt geschlossen.

Homosexuelle Menschen, Lesben und Schwule, erscheinen in der linken und linksliberalen Öffentlichkeit nur als Gruppe, als Kollektiv. Und Erwähnung finden sie als solche nur, wenn sie diskriminiert werden, irgendwie, verfolgt, irgendwie, und ihnen Solidarität gebührt, irgendwie und so viel, wie die liberale Toleranz großzügig zu geben bereit ist. Die Bilder dazu sind immergleich: Bunte Tunten, küssende Paare. Wie sonst sind die anderen zu erkennen, wenn sie anonym bleiben sollen? Den Einzelnen gibt es nicht — mal abgesehen vom Hofschwulen, den sich jeder sich fortschrittlich dünkende Medienzoo in den westlichen Ländern hält. Alle anderen, deren Namen man kennt und auch das Gesicht, bleiben um ihr homosexuelles Leben öffentlich betrogen. Elmar Kraushaar, Berlin