Dem Umbruch folgt der Einbruch

■ Von der Weltspitze ins Mittelmaß: Umstellungs- probleme der DDR-Schwimmer sind nicht zufällig

Die bisher als unschlagbar geltenden Ostschwimmerinnen wurden bei den ersten gesamtdeutschen Meisterschaften in München gleich reihenweise deklassiert. Astrid Strauß, Susanne Börnike, Kathleen Nord, Anke Möhring, Kathrin Meißner und Heike Friedrich — ein erlauchtes Frauen-Sextett, das es bei internationalen Titelkämpfen seit 1983 auf insgesamt 37 goldene Plaketten brachte. Jede für sich alleine garantierte bislang eine bessere Medaillenausbeute als die bundesdeutschen Schwimmerinnen zusammen.

Doch in München hat keine von ihnen ein Ticket zur WM nach Perth/Australien lösen können. Ihnen bleibt nur die tragische Rolle als Vereinigungsopfer. Dabei sind statt dessen Namenlose: die Wuppertaler Kraulsprinterin Simone Osygus oder Petra Haußmann, Lagenschwimmerin aus Füssen, die man bislang nur vom Eishockey her kannte.

„Mir ist zum Heulen“, war die Olympiasiegerin über 200 Meter Freistil, Heike Friedrich, fassungslos. Die 20jährige aus Karl- Marx-Stadt schwamm nicht nur über ihre Spezialstrecke Welten hinter der nationalen Konkurrenz her, sondern ließ sich am Schlußtag als abgeschlagene letzte über 100 Meter Freistil geradezu demontieren. 59,14 Sekunden — ihre Bestleistung liegt bei 55,71 — eine sportliche Katastrophe für die unglückliche Frau aus Sachsen.

Doch was war es, was die sieggewohnten Frauen so schwach machte? Haben sie aufgehört, schwimmende Apotheken zu sein? Diese Erklärung, die der anhaltend erfolglose Kölner Trainer Gerhard Hetz alias „der Oberhetzer“ zum Besten gab, ist zu billig. Die Sportart Schwimmen führt wie keine andere vor Augen, daß das Sportsystem in der Ex-DDR zusammengebrochen ist.

Früher wurde alles zentral gesteuert; die durchschlagenden Erfolge basierten auf einem ausgeklüngelten „System von Zwängen“ daß „streng marktwirtschaftlich ausgerichtet war, weil es die Besten herausselektierte“, berichtet der ausgebootete Frauen-Cheftrainer Jürgen Tanneberger. Heute macht jeder Athlet, jeder Trainer, jeder Verein, ungefragt einfach alles, was er will.

Der Druck von oben (Tanneberger: „Ich hatte immer Ewald im Nacken“) ist dem von unten gewichen. Die Schwimmer bestimmen nun, bei wem sie trainieren und wie lange sie zu üben gedenken. Ein im Westen bereits als scheindemokratisch bekanntes Prinzip, das zumindest bisher nur begrenzt zu Erfolgen führte.

Heike Friedrich wurde wie alle Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen vor den Meisterschaften mit einem Auto mit Stern verwöhnt. Ein gut eingefädelter Trick der Westkonkurrenz, könnte man argwöhnen, um die Schwimmstars bereits vor den Münchener Meisterschaften satt zu machen, sie zu lähmen. Für Trainer Tanneberger im Hinblick auf die Motivation ein absolutes Unding: „Prämien hab es bisher immer hinterher, und das war richtig so.“

Wenn jemand zu spät aus dem Urlaub kam, flog er sogleich im hohen Bogen raus. Jetzt wollen die meisten, kommen sie überhaupt pünktlich zurück, nach dem Urlaub noch nicht einmal richtig ranklotzen, sprich Kilometer machen. Doch Trainingsausfall ist besonders im Schwimmsport fatal.

Für Heike Friedrich jedoch sind Existenzfragen die entscheidende Ursache für ihr Debakel. Ihr Trainer Joachim Rother ist arbeitslos und konnte sich nicht mehr auf das Training konzentrieren. Häufig wurde nur das halbe Pensum absolviert. Sie selbst hatte ihre Kosmetikerinnenlehre abgebrochen, weil dies im neuen Land kein Berufsstatus sei.

Ohne berufliche Perspektiven, ohne motivierten Trainer, der bei der Ernennung der 24 Stützpunkt- und Honorartrainer keine Berücksichtigung fand — 300 hauptamtliche Trainer müssen sich einen anderen Job suchen — , konnte kaum etwas gelingen. Selbst die paar Mark Sporthilfe sind für Heike Friedrich jetzt in Gefahr, ebenso der liebgewonnene Mercedes.

Bleibt der Olympiasiegerin und Co nur noch die Genugtuung, daß die Westfunktionäre, die jetzt das Sagen haben, sich kaum mit fremden Federn schmücken können. Denn denen, die in München gewonnen haben, werden bei der WM nur geringe Medaillenchancen eingeräumt. Insgesamt werden 20 SchwimmerInnen aus dem Osten und 17 aus dem Westen mit nach Perth fahren. Nicht dabei ist der Kölner Doppelweltmeister von Madrid, Rainer Henkel, der der sich über 400 und 1.500 Meter Freistil nicht qualifizieren konnte. Auch in der Staffel fand er keine Berücksichtigung.

Es wäre keine Überraschung, wenn die Frauen in Perth ohne Titel blieben und der Altstar Michael Groß wieder einmal im Alleingang die nationale Schwimmehre retten müßte. Diesmal die gesamtdeutsche. Karl-Wilhelm Götte

(München)