Am Ende des langen Wegs

■ Zum Tod des griechischen Dichters Jannis Ritsos NACHRUF

Es war ein langer Weg bis hierher — ein schwerer Weg.

Jetzt ist dieser Weg der deine

Du hältst ihn in der Hand

wie du die Hand des Freundes hältst

und seinen Puls mißt, an der Stelle mit der Narbe von den Handschellen.

Normaler Puls. Sichere Hand.

Normaler Puls. Sicherer Weg.*

1909, am 1. Mai, in Monemvasia/ Peloponnes kam Jannis Ritsos als Sproß einer großbürgerlichen Familie auf die Welt. Anfang der 30er Jahre — nach dem wirtschaftlichen Ruin der Familie in Athen lebend — schloß er sich der Arbeiterbewegung und der KP Griechenlands an. Aktiv im antifaschistischen Widerstand tätig und später auf seiten der kommunistischen Partisanen, wurde er nach dem Bürgerkrieg verhaftet und auf den berüchtigten KZ-Inseln Makronissos, Leros und Agios Efstathios gefangengehalten. Selbst von dort aus gelangten Ritsos' Arbeiten an die Öffentlichkeit: Der Mann mit der Nelke (1953), Die Mondscheinsonate (1956).

Anfang der 60er für wenige Jahre frei, wurde sein Werk in der breiten Öffentlichkeit bekannt: Theodorakis vertonte seinen Gedichtzyklus Totenklage, die rebellierende Arbeiter und Studenten bis zum Militärputsch im April 1967 zu ihrer Hymne machten. Trotz internationaler Anerkennung und zahlreicher Preise (Leninpreisträger und Träger des griechischen Nationalpreises für Lyrik seit 1957) wurde er erneut verhaftet und lebte bis 1970 in der Verbannung auf Samos.

Ritsos hat die moderne griechische Lyrik entscheidend geprägt. Neben Kavafis, Seferis und Elytis ist er weltweit bekannt und in mehrere Sprachen übersetzt worden.

Immer stark mit der Wirklichkeit seines Landes verbunden, hat er seine Dichtung als Sprachrohr gesellschaftlicher Auseinandersetzung verstanden. Während seiner Verbannung entstanden neue Zyklen mit politischem Inhalt: Achtzehn kleine Gesänge der bitteren Heimat und Der Verrußte Kessel wurden zu Erkennungszeichen einer ganzen Generation. Sein Spätwerk, Tagebuch des Exils und seine tausendversige Autobiographie Das ungeheure Meisterwerk. Erinnungen eines ruhigen Menschen, der nichts wußte, läßt gleichsam fragmentarisch das Griechenland des 20. Jahrhunderts Revue passieren. Um mit Aragon zu sprechen: „Aber von keinem lernte ich wie von Ritsos, denn er ist das ganze Leben seines Volkes und sein Gesang, seine Schmerzen.“

Ritsos ist tot. Ein Trost bleibt allerdings — jenseits aller Nachruf- Pathetik — seine Dichtung lebt, seine Lieder atmen Gegenwart. Anna Lazaridou

*aus: „Verrußter Kessel“, 1974