Nato-Geheimdienst auch in Frankreich

■ Bundesverteidigungsminister Stoltenberg läßt auch prüfen/ In Paris gibt Verteidigungsminister Chevenement ein geheimes Netz von Saboteuren und Untergrundkämpfern zu

Berlin (afp/dpa/adn/taz) — Rund einen Monat nach dem italienischen Ministerpräsidenten Andreotti bemüht sich seit gestern auch die Regierung in Bonn darum, Licht in die Machenschaften eines bislang nie bestätigten Nato-Geheimdienstes auf dem Territorium der einzelnen Mitgliedsländer zu bringen. Strukturen dieses Geheimdienstes, der angeblich die „kommunistische Gefahr“ aus Osteuropa bannen sollte, waren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges parallel zu den nationalen Diensten und völlig unkontrolliert von nationalen Parlamenten und Regierungen aufgebaut worden. Nach dem italienischen Ministerpräsidenten, dem ehemaligen griechischen Regierungschef und dem belgischen Verteidigungsminister hatte gestern auch der französische Verteidigungsminister Chevenement die Existenz einer derartigen Organisation in seinem Land zugegeben. Aus der BRD, immerhin nachrichtlicher Hauptschauplatz der Nato, liegen bislang keine Bestätigungen vor. Gestern erklärte Bundesverteidigungsminister Stoltenberg jedoch, er habe angeordnet, diese Frage zu untersuchen, und erwarte „bald einen Bericht“.

Chevenement hingegen bestätigte gestern im französischen Rundfunk, daß die Nato wie in Italien und Belgien auch in Frankreich ein geheimes Netz von Saboteuren und Untergrundkämpfern aufgebaut hatte. Die Nato-Geheimorganisation habe im Falle einer Besetzung durch Sowjettruppen Kommandoaktionen unternehmen und Kontakt mit einer Exilregierung halten sollen. Das Netz sei in den fünfziger Jahren aufgebaut worden, habe aber stets nur eine „Schläferrolle“ gespielt. Inzwischen sei die französische Organisation auf Anordnung des Staatspräsidenten aufgelöst worden, den Zeitpunkt der Auflösung nannte Chevenement jedoch nicht.

Am Samstag hatte der ehemalige Chef über alle französischen Geheimdienste, General Melnik, der Zeitung 'Le Monde‘ erklärt, er habe bei seinem Amtsantritt 1952 von einer derartigen Organisation gehört, die sei allerdings nach dem Tod Stalins im Jahr 1953 aufgelöst worden.

Aus italienischer Sicht sieht das ganz anders aus: Wie aus der Umgebung von Ministerpräsident Andreotti verlautet, soll bei einer Sitzung dieses Nato-Geheimdienstes Ende Oktober in Brüssel auch ein „französischer Vertreter“ anwesend gewesen sein. Ein enger Freund von Mitterrand, François de Groussouvre, soll am Aufbau der aufgelösten französischen Organisation beteiligt gewesen sein, schrieb gestern die französische Presse.

In Italien und Belgien werden die nach dem römischen Kurzschwert „Gladio“ genannten Organisationen mit zahlreichen bis heute nicht aufgeklärten Terroranschlägen in den 70er Jahren in Verbindung gebracht. Den offenbar von CIA-Agenten durchsetzten Geheimorganisationen wird vorgeworfen, Bedrohungsangst geschürt zu haben, um den Widerstand in der Bevölkerung gegen die Stationierung von US-Raketen zu überwinden und zu verhindern, daß Kommunisten in die Regierung gelangen. dora