Gesucht: Die makellos antipatriarchale Liebe

Dritter Bundesfrauenkongreß der Grünen in Kassel: Theoretisches über Zwangsheterosexualität und lesbischen Widerstand/ Die grünen Feministinnen wollten bewußt Gegenkongreß zu üblichem Wahlkampf/ Tagespolitik blieb ausgeklammert  ■ Aus Kassel Helga Lukoschat

Ihr Frauen hört: Liebe zwischen Euch und den Männern ist Wahn und Trug. Die Ehe ist eine gewalttätige Institution zu Eurer Unterdrückung. Das Patriarchat ist allumfassend. Aber es gibt einen Ausweg: die wahre Liebe zwischen Frauen.

„Los und ledig — gegen die Orientierung am Mann und seinen Taten“, ein eigentlich verheißungsvolles Thema hatten sich die grünen Frauen ausgesucht. Assoziationen von Aufbruch und Freiheit wurden da geweckt — und nicht erfüllt. Die atmosphärische Quintessenz der dritten „Bundesfrauenkonferenz“ der Grünen bestand in Platitüden.

Ursprünglich waren für die Konferenz, von der Bundesarbeitsgemeinschaft Frauen (BAG) ausgerichtet, ganz andere Themen im Gespräch: Ost-West, Ökologie. Das klappte nicht oder sollte nicht klappen, und schließlich entschieden sich die Frauen für eine Thematik zur „grundsätzlichen Infragestellung der Macht- und Besitzstrukturen einer Gesellschaft“ (BAG-Sprecherin Sigrid Engelbrecht). Innerparteilich hatte das durchaus Unbehagen ausgelöst: Anstatt überwiegend theoretisch über die Loslösung von Männerbeziehungen, „Zwangsheterosexualität“ und lesbische Identität zu diskutieren, hätten einige grüne Politikerinnen, zudem wenige Wochen vor der Bundestagswahl, lieber aktuelle politische Themen wie die Verfassungsdebatte oder die frauenpolitischen Folgen der deutsch-deutschen Vereinigung auf der Tagesordnung gesehen. Oder sich zumindest gewünscht, mit dieser Theorie im Kopf den Status und die Möglichkeiten von Frauenpolitik bei den Grünen zu reflektieren. Doch diese Einwände fochten die BAG, ein gutes Dutzend feministischer Basisaktivistinnen nicht an: Der Kongreß, so hieß es fast trotzig, verweigere sich eben bewußt dem „üblichen Wahlkampfschema“ und den „männlichen Politikstrukturen“, so Christiane Tillner vom Arbeitskreis Frauenpolitik in Bonn.

Die grünen Politikerinnen mit den bekannten Namen waren so erst gar nicht erschienen. Von den rund 500 Frauen, die nach Kassel fanden, kam der überwiegende Teil aus den „autonomen Zusammenhängen“, darunter viele lesbische Frauen. Und es gab Balsam für ihre Seelen. Referentinnen wie Sigrun Klüger von der BAG oder Ulrike Janz von der Lesbenzeitschrift Ihrsinn stellten klar: Nur das Aufgeben einer heterosexuellen Beziehung eröffnet den wahren weiblichen Widerstand gegen das Patriarchat. „Ich erwarte keine Toleranz von den Feministinnen, auch nicht ein bißchen Gleichstellung. Darauf kann ich dankend verzichten. Jede heterosexuelle Feministin, die es ernst meint mit der Analyse der Zwangsheterosexualität, muß sich die Frage stellen, ob sie in dieser Beziehung bleibt“ (Ulrike Janz).

Hatten wir das nicht schon einmal? So vor zehn, 15 Jahren, als der Streit zwischen Lesben und Heteras die Frauenbewegung umtrieb und schließlich entnervte? Sicher — vor fünfzehn Jahren gab es den Begriff „Zwangsheterosexualität“ noch nicht. Den prägte die US-amerikanische Feministin Adrienne Rich Mitte der 80er. In ihrer Analyse werden Frauen im Patriarchat mit allen Mitteln, von physischer Gewalt bis zur umfassenden „Bewußtseinskontrolle“, in die sexuelle Beziehung zum Mann gezwungen. Immer aber hätten Frauen auch widerstanden und Beziehungen zu Frauen gelebt, aber dafür einen hohen Preis bezahlt: Ausgrenzung, Diskriminierung, Armut. Rich sieht nun als Weg künftiger Befreiung den Aufbau vielfältigster Frauenbeziehungen, in einem „lesbischen Kontiunuum“. Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Kappeler stellte in ihrem Vortrag allerdings die Frage, ob allein die persönliche Beziehung zwischen zwei Frauen schon den Widerstand gegen das Patriarchat darstelle: „Sind lesbische Beziehungen eine ausreichende politische Aktivität?“ Prompt wurde Kappeler mißverstanden und als „lesbenfeindlich“ gebrandmarkt.

Fast alle Rednerinnen des Kongresses bezogen sich auf die amerikanische Feministin, aber eine Auseinandersetzung damit fand dennoch nicht statt. Die Frauen lauschten entweder mit andächtig-ergriffenem oder unbehaglichem Gesichtsausdruck. Die Widersprüche dieser Theorie, die einerseits ein fast totalitäres Bild von Unterdrückung entwirft, andererseits aber auf den subjektiven Widerstand setzt, sollten nicht zur Sprache kommen. Auch zum Bedauern der Veranstalterinnen, die mit viel massiverem Widerspruch gerechnet hatten und eine „Stimmung wie in der Kirche“ (Rita Werkmeisterin) erleben mußten.

Schwung in die Sache brachte allein Anja Meulenbelt, Autorin aus Amsterdam („Die Scham ist vorbei“). Mit Witz, Charme und dem Selbstbewußtsein einer Frau, die ein wenig mehr erlebt hat als den radikalfeministischen Zirkel einer westdeutschen Provinzstadt, ironisierte sie die Anklage der lesbischen Fundamentalistinnen. Nach einer langjährigen Beziehung zu einer Frau, nun wieder mit einem Mann zusammen, müsse sie sich fragen, was mit ihr los sei: „Habe ich den verinnerlichten Sexismus noch nicht überwunden, bin ich Masochistin, bin ich käuflich?“ Vor allem aber machte Meulenbelt klar, daß Frauen vielfältige und einsichtige Gründe haben können, in einer Ehe oder Beziehung zu bleiben und damit nicht schon automatisch zu Kollaborateurinnen des Systems werden. Nicht nur ökonomische Fragen spielten eine Rolle — obwohl auch diese nicht unterschätzt werden dürften —, sondern auch kulturelle und soziale Zusammenhänge. Für eine Frau aus Surinam, deren Großmutter noch Sklavin war und nicht heiraten durfte, hätte die Möglichkeit zur Ehe eben eine andere Bedeutung als für eine weiße Mittelstandsfeministin. Das eine Programm zur Frauenbefreiung, das gebe es nicht. Und strahlend erklärte sie, sie sei sehr dafür, daß Frauen einander liebten: „Aber ich will nicht, daß diese Liebe nur den Frauen vorbehalten wird, die sich makellos antipatriarchal benehmen.“