Nach der Schlacht: Pätzold rüstet auf

■ Innensenator hat Krawall nicht in dieser Schärfe erwartet/ Polizeiverbände aus Bundesländern im Anmarsch/ Kritik von allen Seiten: CDU fordert Pätzolds Kopf, Bündnis 90/Grüne wollen Verhandlungen, BesetzerInnen wollen Mompers Ehrenwort

Friedrichshain. Innensenator Erich Pätzold (SPD) hat in den SPD-regierten Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Polizeiverstärkung angefordert. Die Polizei wird heute vormittag in Berlin eintreffen. Der Sprecher der Innenverwaltung, Werner Thronicker, begründete die Aufrüstung damit, daß die Berliner Beamten in den letzten drei Tagen »nicht mehr aus den Stiefeln gekommen« seien. Man wolle jedoch auf die heutige Demonstration gut vorbereitet sein. HausbesetzerInnen werden um 17 Uhr ab dem Senefelder Platz unter dem Motto »Hände weg von unseren Häusern« gegen die ersten Räumungen demonstrieren.

Die Randale in der Nacht auf Dienstag, im Anschluß an die Räumung von drei besetzten Häusern hat der Innensenator »erwartet und in Kauf genommen«. Allerdings, so der Senator gestern, habe man nicht damit gerechnet, daß es so weit weg von der eigentlichen Räumung im Prenzlauer Berg und in Lichtenberg zu solchem Aufruhr kommen würde. Es gehe aber darum, in Ost-Berlin Recht und Gesetz durchzusetzen. Die Polizei sei verpflichtet gewesen, die Häuser in der Pfarr- und Cotheniusstrasse zu räumen, da von den Eigentümern Strafanträge gestellt worden seien. Jeglicher Vermittlungsversuch, wie von Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu, hätte nur zu einer weiteren Eskalation der Gewalt geführt.

Die HausbesetzerInnen dagegen sprachen gestern von einem Polizeieinsatz mit »brutalster, ungezügelter Gewalt«. Es habe in ihren Reihen viele Leicht- und drei Schwerverletzte gegeben. Von dem Einsatz der Polizei, so ein Sprecher weiter, seien die BesetzerInnen total überrascht worden: »Wir haben gedacht, die schmeißen uns jetzt alle raus!« Den Verkehr auf der Frankfurter Allee habe man »höchstens 10 Minuten blockiert« und sich dann »plötzlich den Hundertschaften« der Polizei gegenüber gesehen. Erst danach seien in der Mainzer Straße Barrikaden errichtet worden. Erneut eskaliert sei die Situation, als die Polizei versucht habe, in das ebenfalls besetzte Haus in der Scharnweber Straße 29 einzudringen. Die Polizei habe im Laufe des Abends massiv Tränengas und mindestens 10 sogenannte Blendschockgranaten eingesetzt. Vermittlungsversuche von Politikern seien gescheitert, »weil die Vermittler mit dem Wasserwerfer weggeputzt worden sind«, als sie sich zwischen Polizei und die übrigen Leute gestellt hätten. Die BesetzerInnen wollen die Barrikaden nur abräumen, wenn Berlins Regierender, Walter Momper (SPD), den Verzicht auf weitere Räumungen zusichere.

Polizeipräsident Georg Schertz erklärte, daß die etwa 250 bis 300 eingesetzten Polizisten im Verlauf der Eskalation auf etwa 1.500 verstärkt wurden. Nur Westbeamte seien eingesetzt worden. 137 Beamte sollen verletzt worden sein, einer befand sich gestern abend noch im Krankenhaus. Insgesamt wurden 20 Leute festgenommen, überwiegend sollen sie in West-Berlin gemeldet sein. Auch er erklärte, daß »die Militanz weit über uns bekannte Kreuzberger Verhältnisse hinaus« gehe.

Auffällig zurückhaltend zeigte sich gestern Ostberlins Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD). Er wollte zu den Vorgängen in der Nacht nicht Stellung nehmen. Er sei, so Krüger zur taz, mehrere Stunden nachts vor Ort gewesen und habe auch mit Besetzern gesprochen. Von Bärbel Bohley sei er gebeten worden, zu intervenieren, habe diese aber aufgefordert, sich an die Verantwortlichen zu wenden.

Scharfe Kritik am Verhalten des Senats übte gestern CDU-Oppositionschef Eberhard Diepgen: Er forderte den Rücktritt des Innensenators und warf dem Senat vor, daß seine Sicherheitspolitik am Ende sei. Alle besetzen Häuser, von denen in Ost- Berlin Gewalt ausgeht, insbesondere die Mainzer Straße, müßten sofort geräumt werden. Demgegenüber übten Vertreter des Bündnis 90/Grüne, der PDS, der SPD und der Vereinigten Linken aus dem Ostteil der Stadt scharfe Kritik an den Polizeieinsätzen, die »die Situation in gefährlicher Art und Weise eskalieren ließen«. Sie verlangten umgehende Verhandlungen mit dem Ziel, durch Verträge Sicherheit für die besetzten Häuser herzustellen. kd/maz/diak