Wer liebt, leidet das alte Lied

■ Thomas Brasch bearbeitet Shakespeare: Uraufführung von „Liebe Macht Tod oder Das Spiel von Romeo und Julia“ in Berlin

Eine einfache Aussage: Liebe macht tot. Als Titel wurde sie beziehungsreich substantiviert, irgendwie hängt eben alles zusammen. Dafür müssen wir nicht bis zu Adam und Eva zurückgehen, Romeo und Julia tun es auch. Shakespeare schrieb ein Trauerspiel über die jugendlichen Helden, die früh lieben und früh sterben müssen. Thomas Brasch verkleidet es vierhundert Jahre später in neue Reime (Herz reimt sich auf Schmerz und umgekehrt) und dichtet noch einiges hinzu.

Zunächst einmal erfindet er eine Rolle für Katharina Thalbach, die, erst als Nutte und dann in der Kutte... Aus Susan wird Bruder John, der gemeinsam mit Pater Laurence (bei Shakespeare heißt er Lorenzo) zum Liebes- und Krankheitsforscher wird. Die Erwähnung der Pest durch Shakespeare wird ausgebaut zur Anti-Aids-Kampagne bei Brasch: „An Lebendigen, Sterbenden und auch/ an den Toten finden wir hier im Bauch/ der großen Krankheit hoffentlich heraus:/ Ist die Liebe Rettung oder Totenhaus.“

Bekanntlich war die Liebe von Romeo und Julia nicht rein platonischer Natur (wohl deshalb muß Romeo der Julia gleich die Hand zwischen die Beine legen), ihr Spiel endet tragisch. Autor Brasch läßt ganz zum Schluß die Gestorbenen trotzdem nochmal zum Kuß antreten, große Liebe stirbt nicht so leicht. Vor- und Nachspiel sowie Zwischentitel vermitteln das Lehrstück, die Figuren fallen öfter mal aus der Rolle, sollen Distanz schaffen.

Der Dichter hat eine Vision, die des Zerfalls einer Stadt, damals Verona, heute Berlin. So läßt er preußisches Bürgertum der Gründerzeit aufziehen, die Familien Romeos und Julias, die Capulet und die Montague. Der Prinz zehrt hingegen von der Aura des aufgeklärten Absolutismus, auch den gab's in Preußen, allerdings zu einer anderen Zeit.

Das Bühnenbild (Ezio Toffulutti) wiederum, wie eine aufklappbare Kiste ohne Deckel, außen schwarz und innen rot, mit ausfahrbereiten Treppen, seitlichen Geländern, blinden Türen und vielen Fenstern, gemahnt an Venedig — und Theaterbauten, wie sie etwa die römische Compagnia Barberio Corsetti nutzt. Will sagen: so ganz neu ist diese Idee nicht, der Effekt der wie auf geheimes Kommando aufgestoßenen und wieder zugeklappten Fensterchen, in denen wahlweise Füße, Hände oder auch ganze Personen erscheinen.

So geraten Zeiten und Orte bei Brasch und Thalbach (denn beide gemeinsam haben Regie geführt) durcheinander. Außerdem muß die Geschichte der angestrebten Geldheirat Julias mit einem anderen, von ihren Eltern betrieben, für allerlei aktuelle Anspielungen und Einwürfe zur deutschen Vereinigung herhalten. Auch zu Shakespeares Zeiten waren politischer Witz und Stegreifrede gefragt, doch hier im Schillertheater klingt die Art der politischen Kommentierung eher wie früher im DDR-Theater: jeder lacht, weil er weiß, was gemeint ist, und eigentlich ist nichts gesagt.

Brasch hat derb und nicht gerade prüde gereimt, er kalauert gerne und häufig platt, eben „pestmodern“. Das ist ganz unterhaltsam, wenn auch der Anfang lange langweilig bleibt. Doch was ist mit Herz und Schmerz, was mit den Liebenden?

Julia (Wiebke Frost) sieht aus, als wolle sie zur Ballettstunde antreten, Knötchen auf dem Kopf, ein herziges Kind, das ihren Liebhaber im weißen Unterrock empfängt. Eine energische Kindfrau mit dem Reiz der Unschuld. Dem sie zugetan ist, Romeo (Guntbert Warns), der ist mehr noch pubertierend und ein großer Kindskopf als das kleine Fräulein. Bevor sich Romeo Gift beim Apotheker bzw. beim Dealer besorgt, spricht er davon, ein Drama zu schreiben: Liebe macht tot usw. Wäre er doch aus Shakespeares Drama ausgestiegen, hätte, statt sich umzubringen, ein neues Stück geschrieben. Sabine Seifert

„Liebe Macht Tod oder Das Spiel von Romeo und Julia“, von Thomas Brasch nach William Shakespeare. Regie: Katharina Thalbach und Thomas Brasch. Bühne: Ezio Toffulutti. Mit Guntbert Warns, Wiebke Frost, Katharina Thalbach, Markus Völlenklee, Oliver Stern, Peter Lohmeyer, Erich Schwarz. Schillertheater Berlin. Nächste Aufführungen: 14., 17. und 21. November.