Aktenfund in Rummelsburger Knast

Berliner Justizverwaltung wertet brisante Akten aus dem Rummelsburger Knast in Ost-Berlin aus Überprüfung der Vergangenheit von DDR-Richtern und Staatsanwälten dadurch erleichtert?  ■ Aus Berlin Plutonia Plarre

Hinter dem 21jährigen Herbert Kaiser (Name von der Redaktion geändert) aus Karl-Marx-Stadt in der DDR schlossen sich am 25. Juli 1983 die Gefängnistore. Der junge Mann war von einem Stadtbezirksgericht wegen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch assoziales Verhalten zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Der Grund: Herbert Kaiser wurde von den Richtern für „arbeitsscheu“ gehalten, weil er sein „Arbeitsrecht“ beim VEB Rohrleitungsbau trotz mehrfacher Aufforderung durch „staatliche Organe“ nicht wahrgenommen hatte. Kaiser saß mehr als die Hälfte der Strafe ab und wurde auf „Bewährung“ entlassen — allerdings nicht in die DDR sondern in die BRD: Er war freigekauft worden.

Die Häftlingsakte von Herbert Kaiser ist eine von rund 14.000 Akten, die bei der Übernahme der Ostberliner Gefängnisse durch die Westberliner Justizverwaltung in der Strafanstalt Rummelsburg gefunden wurde. Die Akten waren in einem verschlossenen Raum im Kellergeschoß gebunkert. Ob es sich dabei ausschließlich um Unterlagen von Gefangenen handelt, die in der Zeit zwischen 1980 und 1989 von der Bundesrepublik freigekauft wurden, wie von Rummelsburger Bediensteten behauptet wurde, ist noch unklar. Eine flüchtige Durchsicht der Schriftstücke, die zur Zeit im Hause der Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach archiviert werden, hat bislang jedoch nichts Gegenteiliges erwiesen. Der Sprecher der Senatorin, Cornel Christoffel bestätigte auf Anfrage, bei der Mehrzahl der bislang ausgewerteten Akten handele es sich um politische Verfahren, die mit vorzeitiger Entlassung durch Freikauf zu Ende gegangen seien.

In Hinblick darauf, daß in der Zeit zwischen 1964 und 1989 insgesamt rund 33.000 DDR-Häftlinge — nicht nur sogenannte politische — von der BRD freigekauft worden sind, ist der Fund von 14.000 Akten höchst interessant. Die meisten Freikauf-Fälle sind zwar in der zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter aufgrund der mündlichen Angaben der Betroffenen gespeichert. Über schriftliche Unterlagen verfügte die Stelle bislang jedoch nur in Einzelfällen. Durch den großen Aktenfund werden nun möglicherweise 14.000 Betroffene auf einen Schlag in den Stand versetzt, Rehabilitations- und Kassationsverfahren anzustrengen, für die sonst mühselig die Unterlagen zusammengesucht werden müssen.

Der Aktenfund birgt jedoch noch eine andere Brisanz: Die Überprüfung der Vergangenheit der DDR- Richter und -Staatsanwälte, die einen Antrag auf Übernahme gestellt haben, könnte sehr erleichtert werden. Der Grund: alle Urteile und Anklageschriften in den Akten sind mit den Namen der Richter und Staatsanwälte gezeichnet, die den Fall bearbeiteten. Bislang waren die Landesjustizministerien und Richterwahlausschüsse in den ehemaligen Bezirken der DDR und Berlin bei der Überprüfung der Kandidaten hauptsächlich auf die Unterlagen in Salzgitter und die Angaben des Bevollmächtigten zur Aufklärung der Stasi-Mitarbeit angewiesen. Die in den Akten gefundenen Namen der Richter, Staatsanwälte und Gefangenen werden in Berlin zur Zeit datenmäßig erfaßt. Eine Weitergabe der Erkenntnisse, zum Bespiel an die Richterwahlausschüsse der einzelnen Bezirke, hält der Berliner Datenschutzbeauftragte Garstka ohne Zustimmung der betroffenen Richter und Staatsanwälte nach dem Datenschutzgesetz nicht für zulässig.