„Gladio“ in Paris: Résistance im Notfall

 ■ Von Alexander Smoltczyk

Paris (taz) — Knapp einhundert handverlesene Reservisten des französischen Geheimdienstes DGSE haben noch bis vor kurzem auf ihren Tag X gewartet: die Okkupation Frankreichs durch eine rote oder braune Armee. Verteilt über das gesamte Staatsgebiet, mit Schwerpunkten in Grenznähe, bildeten sie die französische Version der geheimen Nato-Struktur „Alliiertes Koordinationskomitee“. Code-Namen für die Gruppe waren Lyrismen wie „Regenbogen“, „Windrose“ oder „M-48“.

Die potentiellen Widerstandskämpfer kannten sich gegenseitig nicht, waren mit modernsten Funkanlagen aus deutscher Produktion ausgestattet und hatten die Aufgabe, im Falle einer Besetzung den Kontakt zwischen Exilregierung und Lokalbehörden aufrechtzuerhalten. Bei der Besetzung des Landes, durch die Wehrmacht 1940 war es zu einem heillosen Durcheinander zwischen den Staatsorganen gekommen, wodurch die Machtübernahme durch Pétain erleichtert worden war.

Das französische Geheimnetz wurde vermutlich 1948 eingerichtet, nachdem sich die kommunistischen Parteien Europas im Jahr zuvor in der Komintern organisiert hatten. Die Kommunistische Partei Frankreichs war damals die stärkste Partei des Landes, hatte knapp eine Million Mitglieder und war erklärtermaßen bereit, als proletarische Internationalisten auch im Inland gegen die „Partei Washingtons“, die sozialistische SFIO, zu kämpfen. 1958, als de Gaulle an die Macht zurückkehrte, trennte sich „Windrose“ von ihren atlantischen Kollegen und existierte von nun an als Nato-unabhängige französische Gruppe weiter. Nach Angaben des italienischen Ministerpräsidenten Andreotti allerdings war bei den letzten multilateralen Sitzungen des alliierten Koordinationskomitees auch ein hoher französischer Vertreter anwesend.

Verteidigungsminister Jean- Pierre Chevenement erklärte, die Einheit sei seines Wissens eine „ruhende“ Struktur und sei nicht in zwielichtige Machenschaften verwickelt gewesen. Präsident Mitterrand habe die Gruppe inzwischen aufgelöst. Nach Presseberichten wurde diese Entscheidung allerdings erst vor zehn Tagen getroffen, also nach den Enthüllungen über die „Gladio“-Affäre in Italien. Das Verteidigungsministerium weigerte sich gestern, zu der Aussage Andreottis Stellung zu nehmen, wonach auch in den Besatzungszonen in Deutschland und Österreich vergleichbare präventive Widerstandskommandos aufgebaut worden sein sollen.

Nach Informationen von 'Libération‘ arbeiteten geheime Nato-Organisationen in etwa zehn Mitgliedsländern der Allianz, wobei die Türkei, Portugal, Griechenland, Island und Kanada keine „Gladii“ besaßen.