Rein in die Charakterhose

■ »Darkman« akut am Kudamm

Draußen in der alten Fabrik, da ist es finster und auch so bitter kalt. Das ist der Platz, an dem der Düstermann lebt. Er braucht die Dunkelheit und selbst Polareiskälte kann ihm nichts mehr anhaben. Er spürt sowieso nichts mehr.

Düstermann bzw. Darkman bzw. Dr. Westlake ist eine mehrdimensionale Persönlichkeit, wobei der Begriff »Persönlichkeit« zugegebenermaßen aus dem Fundus bildungsbürgerlichen Geblöks stammt (und normalerweise auf die Weizsäcker-Familie angewendet wird) und also bezüglich des Darkman einen vollkommenen Mißgriff darstellt. Darkman hat vielmehr variable Erscheinungsbilder und darum mit mehrdimensionaler Persönlichkeit nichts am Hut. Ganz im Sinne der fortschreitenden Zersetzung von unverwechselbarer Subjektivität, Individualität, Identität usw. wechselt Darkman sein Gesicht wie andere ihre Unterhosen.

Früher war Darkman mal Wissenschaftler, auf dem besten Wege, synthetische Haut herzustellen, mit der man bis ins hohe Greisenalter und darüber hinaus ein babypopoglattes Gesicht würde tragen können. Doch dann wird er durch Zufall Opfer verbrecherischer Machenschaften. Bestialische Killer jagen ihn samt Labor in die Luft. Er überlebt. Allerdings mit einem verkohlten Fleischstück als Gesicht. Und dieses Fleischstück will Rache. Mit der Explosion wird Dr. Westlake aus seiner beschaulichen 19.-Jahrhundert-Existenz herausgeschleudert und landet als Darkman in einem ultraspätkapitalistischen Dasein, in dem die Persönlichkeit ganz offen zur Ware geworden ist und munter Bäumchen-wechsle- dich gespielt wird. Identität ist eine kurzfristige Anschaffung und hat nur pragmatische Bedeutung. Und darum zieht Darkman verschiedene Gesichtsschlüpfer über seinen verätzten Kopp und startet seinen Rachefeldzug. Unter umgekehrten Vorzeichen hat Paul Verhoeven in Die totale Erinnerung das Phänomen freiflottierender Identitäten auf die Leinwand gebracht. Schwarzenegger hat darin zwar durchgängig dasselbe Gesicht, aber sein Gehirn wird ein ums andere Mal umgekrempelt.

Genauso wie die vielgesichtige Figur Darkman ist der Film Darkman ein prächtiger Flickenteppich. Ein unaufhörliches Gewimmel von klassischen, nichtklassischen und ganz anderen Mythen und Monstern durchzieht den Film. Dr. Jeckyll and Mr. Hyde, Frankenstein, der Glöckner von Notre Dame, Robocop, Batman, Nosferatu, das Phantom der Oper, die Fliege, Freaks — es fallen einem ein Dutzend Filme ein, die man gesehen hat und dann noch mal ein Dutzend, die man nicht gesehen hat. Aber Darkman ist keine schöngeistig-erlesene Zitathuberei wie z.B. Dr. Petiot, sondern es wird hemmungslos zusammengeschustert, daß die Hautfetzen fliegen und es eine wahre Freude ist.

Regisseur Sam Raimi (Tanz der Teufel I, II) behält seine konsequent negative Einstellung bezüglich abendländischer Werte wie Persönlichkeit, Identität etc. bis zum Schluß bei. Bevor es zu einem Happy-End kommen kann, kappt Darkman die letzte Verbindung zu einem traditionellen Leben, nämlich zu der Frau, verschwindet in der Masse von Passanten und wird zu einem Gesicht unter vielen. Dralle

»Darkman«, USA 1990, Regie: Sam Raimi. Ab heute in der Filmbühne Wien, im Royalpalast, im Zoopalast, im Thalia und im Colosseum.