Die Kettensäge im Kopf

■ Staatsanwalt terrorisiert engagierte Münchner Kinos Und die Stadt fügt sich

Schon im Sommer hätte der Filmhistoriker und Chef des Münchner Filmmuseums, Enno Patalas, dem Münchner Staatsanwalt Herbert Freund, gern eine Lektion erteilt. Staatsanwalt Freund vom Münchner Amtsgericht hat nämlich einen besonderen Kunstbegriff, was Filme anbetrifft. Im schwülen August drückte sich der junge Staatsdiener zusammen mit seinen Polizisten nicht nur einmal im Münchner Programmkino „Werkstattkino“ herum, zahlte brav Eintritt, um nach der Vorstellung den Film zu kassieren. Als „Wiedereinführung der Zensur“ bezeichnet Wolfgang Bihlmeier, einer der vier Besitzer des Kellerkinos, diese Aktion.

„Maniac“, die Geschichte eines Serienkillers riß sich der Staatsanwalt als erstes unter den Nagel. Beim zweiten Besuch nahmen die Polizisten den Horrorfilm „The Texas Chainsaw Massacre“ von Tobe Hooper mit. Als ihm der verzweifelte Filmvorführer anbot, dann könne er doch auch gleich „Mad Max II“ beschlagnahmen, sagte der Staatsanwalt nicht „Nein“ sondern griff zu. Dabei störte ihn nicht, daß dieser Film vor neun Jahren ungehindert in den großen Kinos lief.

In seinem Eifer hatte Freund auch schon beim Münchner Festival des „Internationalen phantastischen Films“ im Mai zugeschlagen und drei Filmkopien aus dem Verkehr gezogen. Gesetzliche Handhabe für seinen Feldzug: der Paragraph 131 des Strafgesetzbuchs, wonach „Verherrlichung“ und „Verharmlosung von Gewalt“ zu ahnden sind. Vor allem dann, wenn „das Grausame oder Unmenschliche eines Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise dargestellt“ wird. Für Staatsanwalt Freund ist damit alles klar. Zwar würde er keinen Film von Stanley Kubrick beschlagnahmen, denn der sei Kunst. Je realistischer jedoch ein Film die Gewalt darstelle, desto wahrscheinlicher sei es, daß der Film gesetzeswidrig sei. „Wenn der Grad des Realismus zum Maßstab der Strafverfolger wird, muß man das wohl als Zensur begreifen“, ist dagegegen die Ansicht von Filmmuseumschef, Enno Patalas. Ob Maquis de Sade oder Luis Bunuel — zum Wesen der Kunst gehöre es auch, Grenzen zu sprengen. Damit wollte Patalas jetzt Ernst machen und seinen Zuschauern den Zusammenhang zwischen Avantgarde und Zensur näherbringen.

Mit der Filmreihe unter dem Titel „Guilty Pleasures“ lieferte er einen Beitrag zur momentanen Diskussion um Gewalt im Kino. Aus Solidarität zum „Schmuddelkind“ Werkstattkino sollte die Reihe mit dem staatsanwaltlichen „Objekt der Begierde“, nämlich dem Hardcore-Streifen „The Texas Chainsaw Massacre“ eröffnet werden. Doch diesmal mußte sich nicht der Staatsanwalt die Mühe machen. Seinen Part übernahm — ungern — der Münchner Kulturreferent und Dienstherr Patalas', Siegfried Hummel. „Vorführverbot“, tönte es aufgrund der rechtlichen Situation aus seiner Amtsstube. Begründung: „Fürsorgepflicht für Mitarbeiter, die sich strafbar machen würden durch das Ignorieren des Gerichtsbeschlusses“. Das Münchner Landgericht hatte im Sommer nämlich die Aktion von Staatsanwalt Freund abgesegnet. Zwar verordnete der linksliberale Hummel den Vorführstop, gleichzeitig zitierte er aber in einem Brief an den SPD-Oberbürgermeister, Georg Kronawitter, den Hamburger Oberstaatsanwalt und Filmexperten, Dietrich Kuhlbrod. Dieser hatte bereits im Sommer die Vorgehensweise der bayerischen Justizbehörden heftig kritisiert. Die Artikel des Grundgesetzes, wie etwa die Kunstfreiheit, „stehen nicht zur Disposition irgendwelcher Justizbehörden“, tadelte Kuhlbrodt.

„Die Situation ist ärgerlich“, stellte auch Hummels persönlicher Referent, Reiner Kneusl fest. Inzwischen prüft das Rechtsamt, ob es möglich ist die inkriminierten Filme einer „beschränkten Öffentlichkeit“ von Filmkritikern oder Vereinsmitgliedern vorzuführen — Filme, die seit Jahren in Videotheken frei zugänglich sind!

„Ich hätte für mich auch einen Prozeß riskiert“, meint Enno Patalas kämpferisch. Doch der Anordnung Hummels kann er nicht offen zuwiderhandeln. Mit dem Argument, das Ansehen der Landeshauptstadt München stehe auf dem Spiel hatten Philister dem Kulturreferenten gesteckt, was Patalas mit seiner Filmreihe im Schilde führt. Trotzdem: „Guilty Pleasures“ zeigt im Dezember immerhin noch Filme, die in Deutschland bisher nicht ausdrücklich freigegeben wurden oder nur stark gekürzt in den Kinos liefen, immer freitags und samstags in der Spätvorstellung. Luitgard Koch