Wie Ägypten ein Drittel seiner Auslandsschulden verlor

Dem Land am Nil hat die Golfkrise nicht nur Nachteile beschert — denn plötzlich ist es als Stabilitätsfaktor wieder interessant geworden  ■ Von Karim El-Gawhary

Rosigen Zeiten sah Ägypten zu Jahresbeginn nicht entgegen. Seine Wirtschaft ist trotz Sadats Öffnungspolitik und trotz Mubaraks Lavieren um IWF-Kredite nicht in die Gänge gekommen. Die Auslandsverschuldung war auf 50 Milliarden Dollar angewachsen. Entscheidender Faktor waren hierbei die Nahrungsmittelimporte. Allein 1989 gab Ägypten vier Milliarden Dollar aus, um seine Bevölkerung ernähren zu können — vorwiegend mit US-Weizen übrigens. Und die Auslandshilfe wurde zusehends dünner, nachdem das Land am Nil den Schuldendienst nicht mehr leisten konnte.

Ein 35-Millionen-Dollar-Paket aus Frankreich zur Unterstützung der Nahrungsmittelimporte wurde letztes Jahr kurzerhand gestrichen. Und auch Bonn diktierte härtere Bedingungen. Ergebnis: keine Kredite mehr aus der Bundesrepublik bis zur Unterzeichnung eines Umschuldungsvertrages zwischen beiden Ländern. Der IWF saß dem Land im Nacken: Vereinheitlichung des Wechselkurses, Erhöhung der Zinsen und Steigerung der Preise für Grundnahrungsmittel und Energie waren die Bedingungen für ein erneutes Umschuldungsabkommen.

Für die ägyptische Wirtschaft ist die Unterzeichnung eines solchen Abkommes eine Überlebensfrage. Tatsächlich erhöhte die ägyptische Regierung im Mai dieses Jahres die Preise für subventionierte Basisgüter wie Öl, Reis, Mehl und Zigaretten. Aber besonders die Preise für Energie wurden erhöht: 130 Prozent Preiserhöhung für die in den meisten ägyptischen Küchen verwendeten Butangasflaschen, 40 Prozent auf Benzin und Elektrizität. Die Subventionen für Energie wurden um 25 Prozent gestrichen.

Eigentlich mutet es wie ein Wunder an, wie ruhig die ägyptische Bevölkerung geblieben ist. Zu Brotunruhen wie noch 1977 kam es nicht. So blieb der IWF auch unbeeindruckt. Mish Kifaiya, nicht genug, war sein Kommentar zu den Maßnahmen.

Mitten in dieser Situation brach die Golfkrise aus, und die Lage verschlechterte sich noch. Ein großer Teil der am Golf beschäftigten Arbeiter packte die Koffer und floh nach Hause. Doch anders als die westlichen Geiseln werden sie angesichts der verheerenden wirtschaftlichen Situation zu Hause nicht mit Freude begrüßt. Al-Aidiyn, die Rückkehrer, und die mit ihnen verbundenen Probleme der Integration sind seit dem irakischen Einmarsch ein Dauerbrenner in der ägyptischen Presse. Ihre regelmäßigen Zahlungen machten ein Drittel der Deviseneinkünfte des Staates aus. Die mit ihrer Heimkehr verbundenen Verluste werden auf drei Milliarden Dollar geschätzt.

Auch die Einnahmen durch Tourismus, der durch seine enormen Wachstumsraten als Vorzeigekind der ägyptischen Wirtschaft galt, geht stark zurück. Noch im Sommer meldeten die ägyptischen Zeitungen stolz, daß sich die Zahl der Übernachtungen 1989 verdreifacht hatte. Doch infolge der Golfkrise wurden bereits 30 bis 40 Prozent der Buchungen aus Europa und der USA für diesen Herbst und Winter storniert. Geschätzter Verlust: 400 Millionen bis eine Milliarde Dollar für die kommende Saison. Auch die Erträge des Suezkanals fallen. 50 Prozent der Öltransporte Kuwaits liefen über den Verbindungsweg zwischen Rotem Meer und Mittelmeer. Die saudischen Transporte gleichen dies nur zum Teil aus. Schaden: 215 Millionen Dollar jährlich.

Doch die Folgen der Golfkrise wirken sich nicht ausschließlich negativ auf die ägyptische Ökonomie aus. Nicht nur, daß die Erhöhung des Ölpreises für 1990/91 zusätzliche Gewinne von 200 Millionen Dollar für den ägyptischen Ölexport erwarten läßt. Wichtiger ist vielmehr, daß den USA und Westeuropa erneut die enorme Bedeutung Ägyptens vor Augen geführt wurde. Nachdem sich Ägypten so schnell und eindeutig in die Anti-Irak-Front einreihte, ließ sich der Westen diesen Schritt auch einiges kosten. Denn nichts wäre für ihn schlimmer als ein instabiles Ägypten, das sich womöglich mit Saddam Hussein solidarisieren könnte.

Die wirtschaftliche Stabilität Ägyptens steht plötzlich wieder ganz oben im westlichen Interesse. So entschloß sich der amerikanische Kongreß auf Vorschlag Bushs zur Streichung der ägyptischen Militärschulden. Auch Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten erließen Ägypten die Rückzahlungen. Sie befürchten, daß die ägyptische Bevölkerung mit Saddam Hussein womöglich sympathisieren könnte. Dieser plädiert für eine Abschaffung der überkommenen Golfmonarchien und eine Umverteilung der Petrodollars in der arabischen Welt — sicherlich keine unpopuläre Forderung bei den verarmten Menschen in den bevölkerungsreichen arabischen Ländern.

Saudi-Arabien versprach gar zusätzliche 500 Millionen Dollar zur Entwicklung von Industrieprojekten. Auch die EG läßt sich nicht lumpen und kündete ein Soforthilfeprogramm zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Dollar an. Die ägyptische Auslandsverschuldung reduzierte sich innerhalb weniger Wochen um ein Drittel. So einfach kann es gehen.

Ob sich der eindeutige ägyptische Standpunkt in der Golfkrise allerdings letztendlich auszahlt, ist noch unklar. Offen bleibt, ob die Verluste tatsächlich ausgeglichen werden können. Doch neben der Frage von Handelsbilanzen und Schuldenrechnungen ist auch noch ein anderes Problem mit dem eindeutigen Standpunkt verbunden. Immerhin ist Ägypten auch eines von drei arabischen Ländern, die ihre Soldaten am Golf stationiert haben — in einer Pufferzone zwischen den irakischen und den amerikanischen Truppen. Wird die Krise zum Krieg, dann wären die ägyptischen Soldaten die ersten Opfer dieses Krieges. Und nicht nur die amerikanische Bevölkerung reagiert sensibel, wenn ihre Landsleute am Golf sterben. Die ägyptische Stabilität ist relativ, und Schuldenerlasse können nicht alles kaufen.