Roßtäuschers Höhenflug

■ Theo Waigel legte Eckdaten für den neuen Haushalt vor GASTKOMMENTAR

Wieviele Scheibchen hat die Salami des Roßtäuschers Theo Waigel? Nach drei Nachtragshaushalten vom Mai, vom Juli und vom September 1990 über gut 30 Milliarden DM waren wieder einige „Eckwerte“ des obersten Bonner Kassenwarts fällig: 70 Milliarden neue Schulden im nächsten Jahr plus 35 Milliarden Einsparungen, Umschichtungen und Umdichtungen sollen die Wähler vor der Bundestagswahl in dem Gefühl lassen, die Integration und Sanierung der Ex-DDR ließe sich ohne Steuererhöhungen finanzieren. Da allein in 1991 von den Sozialexperten rund 30 Milliarden Zuschüsse an die Ost-Arbeitslosenversicherung gerechnet werden, verfiel man im Hause Waigel auf die Umwidmung der Rentenüberschüsse in die Arbeitslosenversicherung plus einer Beitragserhöhung von einem Prozent, die rund elf Milliarden bringen soll. Im Verteidigungsetat sollen mit 2,5 Milliarden DM nur halb soviele Gelder eingespart werden, wie selbst von Koalitionsmitgliedern gefordert wurden. Die Neuverschuldung soll damit im nächsten Jahr unter 150 Milliarden DM für Bund, Länder und Gemeinden bleiben — nicht mehr als ein frommer Wunsch des einstigen Ministranten Waigel.

Eine „starke Wachstumsdynamik“ (Waigel) soll im nächsten Jahr dafür sorgen, daß ein Ende der Talfahrt in der DDR-Wirtschaft im Frühsommer nächsten Jahres erreicht ist. Ob sich der schwäbisch-bayerische Katholik Waigel auch aufs Gesundbeten versteht, mag mit Fug und Recht bezweifelt werden. Erst letzte Woche hat die Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zu den Kosten der deutschen Einheit ergeben, daß die Situation in der ehemaligen DDR nicht mit herkömmlichen Konjunkturparadigmen gesehen werden können — auch wenn es Karl Schiller und einige andere Markteuphoriker gerne so hätten.

Denn Millionen Ossis wollen nach Westen, qualifizierte Arbeitskräfte wandern ab, fliehen vor Arbeitslosigkeit, Umweltvergiftung und kaputten Städten. Das Ziel, in den östlichen Bundesländern ähnliche Lebensbedingungen wie in Westeuropa zu schaffen, würde in den nächsten zehn Jahren etwa eine Billion kosten. Doch Waigel will die Jahresschulden bis 1994 auf 30 Milliarden heruntergefahren haben. Also warten wir ab, bis sich die Unternehmen in der Ex-DDR gefunden haben, die die Abwasserreinigung privat übernehmen wie bei Maggie Thatcher, oder auf jene, die private Eisenbahnlinien betreiben wie in Japan, oder die aus purer Gewinnsucht die radioaktiv verseuchte Wismut-Region für einige Milliarden sanieren. So wie Kohl und Waigel die Veränderung in den Ostländern angehen, werden nicht mehr viele dort das Ende der Talfahrt erleben. Heinz Suhr

Vom Autor soeben erschienen: „Was kostet uns die ehemalige DDR?“ (Eichborn-Verlag)