Die Ohnmacht der Mächtigen

■ Reaktionen auf die Absage des Spiels Ex-BRD gegen Ex-DDR mit Ost-West-Gefälle

Berlin (taz) — Im Gegensatz zu ihren nüchternen West- Kollegen sind die meisten Kommentatoren ostdeutscher Zeitungen über die Absage des Spiels von Leipzig enttäuscht. „Vom baulichen Zustand des Stadions hat man schon immer gewußt“, meint das 'Deutsche Sportecho‘ bedauernd. „Zu einer konzeptionellen Vorbereitung ist die Leipziger Polizei noch nicht in der Lage“, unterstellt die 'Berliner Zeitung‘. Man hätte sich dem „schwelenden Druck des Mobs gebeugt“, trauert das PDS-Blatt 'Neues Deutschland‘.

Zerplatzt sind die Hoffnungen auf ein großes Kickerfest vor großer Kulisse mit großem Fußball. Zerplatzt ist vor allem die Hoffnung, in Leipzig ein Zeichen für die Beruhigung der Fußballszene aus West und vor allem Ost zu geben.

Zuviel spricht für die Absage: Das Sicherheitsrisiko im 90.000-Zuschauer-Stadion mit vielen illegalen Eingängen, herumliegenden Steinen und morschen Absperrungen war groß; eine beträchtliche Anzahl von Hooligans aus Ost und West hatte sich nach dem Todesschuß von Leipzig geschworen, vereint gegen die Polizei loszuschlagen; das zu erwartende riesige Polizeiaufgebot hätte sie als zusätzliche Drohgebärde nur angestachelt.

Zuwenig sprach gegen die Absetzung der letzten deutsch-deutschen Fußballbegegnung: Die wenigsten Krawalle der vergangenen Wochen fanden in den Stadien statt; die Erfahrungen der Berliner Polizei bei der friedlichen Durchführung des Trauermarsches von tausend Hooligans quer durch die City hätten den Leipziger Kollegen nützen können; eine Zusammenarbeit mit dem einflußreichen Kern der Hooligans hätte die Szene möglicherweise beruhigen können, wenn dabei auch eine öffentliche, kontrollierbare und faire Untersuchung des Todesschusses auf den 18jährigen Mike Polley garantiert worden wäre.

Da die Behörden vor dieser Untersuchung bisher zurückschrecken, blieb nur die Absage des Spiels. Die Probleme sind damit nicht gelöst. Die nächsten Punkt- und Pokalspiele in der Oberliga Nord-Ost sind auf drei bis vier Tage verteilt, damit die Polizei quer durch das Land zu den Stadien gekarrt werden kann. Und die Hooligans haben ihre Rechnung noch nicht beglichen, sie werden weitersuchen. Die sogenannten Sicherheitskräfte kommen in den Zugzwang, so lange Großveranstaltungen abzusetzen, bis sich die Bedingungen grundsätzlich geändert haben.

Für die ostdeutschen Fußballkommentatoren bleibt schließlich nur die stille Freude, daß das 1:0 der DDR gegen die BRD in Hamburg '74 das einzige Länderspiel beider deutscher Mannschaften bleibt. Wenigstens ein Übergewicht in der deutschen Einheit, das ihnen niemand mehr nehmen kann. Hagen Boßdorf

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