Löcher stopfen „keine Schweinerei“

■ Bundeskabinett verabschiedet die Eckwerte für den Bundeshaushalt 1991/ Länder werden vom Bund zur Kasse gebeten/ Neuverschuldung des Bundes steigt auf siebzig Milliarden Mark

Bonn (taz/dpa) — Das Bundeskabinett hat gestern die von Bundesfinanzminister Theo Waigel vorgelegten Eckwerte für den Haushalt 1991 und seinen Finanzplan bis 1994 verabschiedet. Die Neuverschuldung des Bundes soll im kommenden Jahr auf 70 Milliarden Mark begrenzt werden — drei Milliarden Mark mehr als in diesem Jahr — und stufenweise auf 30 Milliarden Mark im Jahr 1994 zurückgeführt werden. Im öffentlichen Gesamthaushalt (für Bund, Länder, Gemeinden) wird die Neuverschuldung bei 140 Milliarden Mark liegen. Bei dieser Planung setzt Waigel für 1991 ein Wirtschaftswachstum von 2 bis 3 Prozent voraus — im Widerspruch zum Sachverständigenrat, der in seinem Herbstgutachten nur 1,5 Prozent prognostiziert hatte.

35 Milliarden Mark will Waigel beim Haushalt 1991 einsparen beziehungsweise umschichten. Dabei gebe es für ihn „keine heiligen Kühe“, versprach Waigel, einsparen könne man zum Beispiel beim Verteidigungshaushalt, da sowieso die Truppenstärke reduziert werde. In den neuen Bundesländern sollen die Subventionen im Wohnungs-, Energie- und Verkehrsbereich abgebaut werden. Außerdem will er die Berlin- und Zonenrandförderung „zügig abbauen“. Bereits im kommenden Jahr sollen Steuervergünstigungen in West-Berlin gestrichen werden. Weitere Einsparungen will Waigel durch die Privatisierung von westdeutschen Bundesunternehmen erreichen. Auch die Infrastruktur in der ehemaligen DDR, zum Beispiel das Telefonnetz, soll von Privatfirmen aufgebaut werden. Das Kabinett beauftragte Waigel, die Haushaltsentlastungen vorzubereiten.

Um das Loch in der Haushaltskasse zu stopfen, müssen auch die Länder ran. Bis 1994 will er den Ministerpräsidenten 24 Milliarden Mark abknöpfen. Dies sei „keine Schweinerei“, wie einige norddeutsche Politiker kritisiert hätten, sondern „ein notwendiger Beitrag zur Finanzierung der deutschen Einheit“. Auf Nachfragen von Journalisten bestätigte Waigel, daß die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöht und die für die Rentenversicherung um denselben Prozentsatz verringert werden soll. Zeitpunkt und Umfang dieser Aktion Verschiebebahnhof werde allerdings erst im kommenden Jahr festgelegt. Das Kabinett beschloß eine Rentenanpassung im Ostteil des Landes: Die Renten in Ost- und Westdeutschland sollen unterschiedlich erhöht werden. Die westdeutschen Renten werden vom 1. Juli an um 5,1 Prozent erhöht, die ostdeutschen werden vom 1. Januar an um 15 Prozent erhöht. Entsprechend sollen Kriegs- und Unfallopfer-Renten erhöht werden. Weiter sollen die Länder der ehemaligen DDR mehr Kulturförderung von der Bonner Regierung bekommen. 900 Millionen Mark werden als „Mitfinanzierung“ bereitgestellt. Davon gehen 600 Millionen in einen Sonderfonds „Förderung gefährdeter kultureller Einrichtungen und Veranstaltungen insbesondere von europäischem Rang“. Mit den restlichen 300 Millionen Mark soll ein „kulturelles Infrastrukturprogramm“ finanziert werden.

Über die genaue Höhe des Haushalts für 1991 konnte Waigel gestern keine Angabe machen. Ebensowenig über das erwartete Steueraufkommen in den neuen Bundesländern, das in diesem Jahr wesentlich geringer ausfiel als angenommen. Dennoch gab er das Versprechen ab, daß es keine Steuererhöhungen zur Finanzierung der Einheit geben wird.

SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier warf Waigel vor, keine konkreten „Einsparbeschlüsse“ vorgelegt zu haben. Sie vermutet deshalb, die Bundesregierung plane „insgeheim eine Erhöhung der Mehrwertsteuer“. Durch den „sprunghaften Anstieg der Staatsverschuldung auf 140 Milliarden Mark“ drohe ein weiterer Zinsanstieg „mit schweren Folgen für Arbeitsplätze, Wohnungsbau und künftige Staatsfinanzen.“ Tina Stadlmayer