»Eine Aufnahme der Verhandlungen wäre noch möglich gewesen«

■ Der Bürgermeister von Friedrichshain, Helios Mendiburu (SPD), zur Straßenschlacht am Montag und zur Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße INTERVIEW

taz: Der Regierende, Momper, behauptet, die Besetzer der Mainzer Straße seien zu keinem Zeitpunkt zu Verhandlungen bereit gewesen.

Helios Mendiburu: Sicherlich ist Herr Momper nicht ausreichend informiert worden. Es hat Verhandlungen mit dem Vertragsgremium — dem Interessenvertreter der meisten besetzten Häuser, nicht nur von Friedrichhain — gegeben. Im Zusammenhang mit Beschwerden von Anwohnern der Mainzer Straße haben wir von der Stadtverordnetenversammlung am 27.9. unseren Standpunkt erklärt, daß die Probleme auf politischem Wege, durch Verhandlungen gelöst werden sollen. Wir haben die Besetzer aufgefordert, bis zum 15.10 Uhr definitiv zu erklären, ob sie Verhandlungen durchführen wollen. Dazu hat sich die Mainerstraße nicht mehr geäußert, obwohl wir das überall durchgesteckt haben.

Was sagen Sie zu den Ereignissen der letzten Tage und der Räumung?

Eine Gewaltlösung kann niemals im Sinne eines Politikers sein, der diesen Demokratisierungsprozeß in der DDR mitgemacht hat.

Sie haben Montagnacht versucht zu vermitteln.

Als ich sah, wie die Polizisten mit Steinen beworfen wurden, und die jungen Leute auf dem Dach von Wasserwerfern hinweggefegt zu werden drohten, bin ich nach Rücksprache mit dem Polizeiführer zu den Besetzern gegangen. Es ist gelungen, zwei Stunden Ruhe zu schaffen. In der Zeit wurden dann die Straße aufgerissen und Steine eingesammelt. Ich habe gesagt, macht das nicht, aber da war nicht mehr mit irgend jemandem Vernünftigen zu reden. Es gab in der Mainzer Straße Besetzer, die das kommen gesehen haben, aber Angst vor den anderen hatten.

Werden die Häuser nicht mehr an die Besetzer zurückgegeben?

Das ist zu bedauern. Weil ich weiß, daß in der Mainzer Straße eine Differenzierung notwendig ist. Aber dann hätten sich diejenigen, denen es nicht um Gewalt sondern um Wohnprojekte ging, von den Gewaltbereiten absetzten müssen.

War wirklich aller Verhandlungsspielraum ausgereizt?

Sicherlich nicht. Bevor eine derartige Konfrontation zustande kommt, sollte man wesentlich mehr versuchen. Meine Schlußfolgerung ist, daß sich solche bürgerkriegsähnlichen Zustände wie in der Mainzer Straße in den letzen Tagen, nicht wiederholen dürfen. In den besetzten Häusern Rigaer Straße und Kreutzigerstraße muß so schnell wie möglich im Rahmen der Möglichkeiten verhandelt werden, das heißt: Einzelmietverträge mit den gleichen Rechten und Pflichten, die jeder andere Mieter hat.

Keine Nutzungsverträge für das gesamte Haus?

Das geht nicht wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse. Ich habe aber angeregt, den Jugendlichen eine Option auf die Häuser zu geben, wenn sich die Besitzer nicht melden. Bis dahin muß aber in Form von einzelnen Mietverträgen legalisiert werden. Die brauchen doch für diese schlechten Häuser kaum Miete zu bezahlen. Außerdem begehen sie ständig strafbare Handlungen, weil die Strom und Wasser entnehmen und den Müll auf die Straße schmeißen.

Sie kommen gerade vom Rat der Bürgermeister. Worum ging es auf der Sitzung?

Ich habe gegenüber dem Staatssekretär des Innensenators, Borrmann, kritisch angemerkt, daß die Vorbereitung und Durchführung der Räumung an den Verantwortlichen der Stadbezirksverordnetenversammlung vorbei vorbereitet und durchgeführt wurde; daß wir darüber nicht frühzeitig informiert worden sind; daß ich am Morgen der Räumung nochmals versucht habe, mit der Vorsteherin der Stadtverordnetenversammlung und den Abgeordneten vom Bündnis 90 dort reinzugehen. Während der Räumung — ich bin ja erst davon informiert worden, als sie schon 38 Minuten lief — habe ich Herrn Krüger angerufen. Wir hatten uns für acht Uhr hier unten verabredet. Wir haben an der Ecke auf ihn gewartet, aber er kam erst um halb neun. Ich wollte, daß die Polizei eine Pause bei der Räumung einlegt, um in die Mainzer Straße hineinzugehen und die Besetzer aufzufordern aufzugeben. Ich wollte die auffordern, jegliche Handlungen einzustellen und die Abgeordneten und Anwohner rausholen. Krüger hat geäußert, daß die Möglichkeit besteht, daß ich als Geisel genommen werde. Ich habe gesagt, ich habe keine Angst davor, die Besetzer werden nicht soweit gehen. Dann mußten wir uns bis zum Einsatzleiter durchfragen. Es verging wieder eine halbe bis dreiviertel Stunde, Die Räumung und Festnahmen waren schon voll im Gange: Es war alles zu spät. Wenn ich das früher gewußt hätte, hätte ich den gleichen Vorschlag gemacht oder den Leuten zumindest gesagt, ihr schafft es nicht, verlaßt erst mal die Häuser, beziehungsweise fangt an aufzuräumen. Vielleicht wäre die Räumung dann nicht erfolgt. Zumindest hätte es dann nicht diese Ausschreitungen gegeben und die Aufnahme von Verhandlungen wäre noch einmal möglich gewesen.

Wie geht es jetzt weiter?

Ich habe mich auf den Rat der Bürgermeister persönlich an Herrn Schwierzina gewandt und gesagt, daß jegliche Aktivitäten, die zu weiteren Konfronationen führen, unterbleiben sollen. Er möchte bitte auf die Wohnungsbaugesellschaften einwirken, daß die Häuser in der Rigaer und Kreutzigerstraße so lange nicht geräumt werden, bis wir mit den Besetzern gesprochen haben. Mit einigen Häusern wird gegenwärtig ja verhandelt. In der Kreuzigerstraße laufen ja Verhandlungen. Das ist mir von Herrn Schwierzina sofort zugesagt worden. Ich habe auch beobachten können, daß sein Bürochef das weitergeleitet hat. Bei einigen Politikern bestehen natürlich Bedenken, daß die Gewaltbereiten nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis versuchen werden, von anderen besetzten Häusern Besitz ergreifen. Daß ist ja schon mal der alternativen DDR-Künstlergruppe »Achbach« in der Ecke Scharnweber widerfahren, die kurz vor Vertragsunterzeichung war. Sie wurden von gewaltbereiten Besetzern der Mainzer Straße rausgeschmissen.

Wo sollen die Ex-Besetzer aus der Mainzer Straße denn hin?

Sie sollen herkommen und Wohnberechtigungscheine mitbringen, dann bekommen sie hier Einzelwohnungen.

Teilen sie die Auffassung, daß Innensenator Pätzold mit der Räumung Wahlkampf gemacht hat?

Der Geruch ist da. Interview: plu