Original und Fälschung

■ Bekennen Sie Farbe, Herr Lafontaine/Kohl, ARD, Mo. und Mi. 21.30 Uhr Der Bundeskanzler und sein Herausforderer im munteren TV-Fernduell

Zugegeben: Am farbigsten war die Krawatte des Kanzlers, aber trotzdem war das Fernduell der beiden Kandidaten interessant genug. Nicht nur der Herausforderer, auch der Titelverteidiger wurde im Vergleich mit sonst üblichem öffentlich-rechtlichen Mikrophon-Hinhalten relativ respektlos befragt. Das Wimpern- Klimpern des Bundeskanzlers, untrügliches Indiz für journalistische Belästigung, trat mehr als einmal in Aktion. Prima. Im direkten Vergleich mit dem ZDF-Duo Siegloch/ Bresser waren Fritz Pleitgen und Heinz-Klaus Mertes damit klar die Besseren. Und die Kandidaten?

Lafontaine sang wieder die Arie der vielen Nullen. Die berühmt-berüchtigte Billion Schulden, die Tilgung, die Zinsen, die Kreditneuaufnahme, die Kosten der Einheit, die achtlos beseite geschobenen Warnungen der Bundesbank, das Bonner „Lotterieministerium“, und „wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“. Waigels & Kohls Finanzpolitik als „Voodoo-Reaganomics“. Hört sich gut an, aber es geht nur noch ums Geld. Rhetorisch war Lafontaine glänzend, der gewohnt gut geölte Sprechautomat aus der Baracke, der jeden Angriff souverän pariert. Selbst die wahlentscheidende Frage, wer denn nun der schönere Kandidat sei, brachte ihn nicht aus dem Konzept. Sein Abschlußlächeln nach den kurvenreichen Statements ist unübertroffen. Aber wer wählt eine Kassandra? Hat die SPD noch etwas anderes drauf, als Schulden und Arbeitslose zu zählen?

Natürlich hauen sie ihm Schmidt und Schiller um die Ohren, die finanzpolitisch eher Kohl als Lafontaine recht geben. Und natürlich wird gestritten, wer den alten Honecker vor der Wende denn nun länger auf dem Schoß sitzen hatte. Friedenspolitik und Ökologie, die alten Domänen Lafontaines, sind heute kein Thema mehr. Nur die „moderne Einwanderungspolitik“, also die alte Abwehr von Asylsuchenden und Aussiedlern, spielen noch eine Rolle.

Rhetorisch trennen die beiden Kanidaten Welten. Kohl wirkt neuerdings wie ein freundlicher Nachbar. Er hat begriffen, daß ein Quentchen Wahrheit nichts schadet. Er kann es sich leisten, Fehler in der Regierungspolitik, Krach im Kabinett, eine schlechte Verfassung der CDU freimütig einzuräumen. Zugleich hat er modernistische Vokabeln wie „Streitkultur“ und „Querdenker“ in sein Repertoire integriert. Herrlich! Aber auch nach acht Jahren Regierungszeit, 14 Jahren Parteivorsitz und 30 Jahren Politik hat er zu Journalisten ein seltsam gestörtes Verhältnis. Weit davon entfernt, die Spielregeln zu verstehen, nimmt er provokante Fragen nicht als Profilierungschance und Bestandteil der „Streitkultur“, sondern als Ungeheuerlichkeit und persönlichen Angriff. „Ich weiß nicht, was ist der Sinn Ihrer Frage“, kanzelt er dann empört einen Heinz-Klaus Mertes ab.

Höhepunkt des Interviews war sicherlich der Adenauer-Vergleich von Pleitgen. Kohl turmhoch über der CDU wie einst der große Konrad? Da schmilzt der Kanzler und weist verschämt wie der artige Junge im Matrosenanzug leicht errötend den Vergleich zurück. „Aber Fritz, sag doch sowas nicht“, hört man ihn innerlich sagen.

Kohls Fehlleistungen hielten sich im Rahmen. Die Menschen „draußen im Land und in der DDR“ waren sein auffälligster Faux pas. Daß im Golf der wirtschaftlich und militärisch Stärkere über den kleinen Nachbarn Kuwait hergefallen ist, ist ebenfalls Unsinn. Aber wir wollen nicht kleinlich sein. Kohl als „Vorkämpfer für mehr Frauen“? Naja. Mertes wollte von ihm wissen, wie der Kanzler auf Frauen wirke. Die Antwort: Überall, wo die Frauen „das Original erleben, habe ich eine gute Position“.

Überraschend, daß diesmal nicht die — inzwischen ermüdende — Deutschland-Politik dominierte. Statt dessen Kindergarten-Plätze, Wohnungsnot, Armut und Pflegenotstand, Geißlers Rauswurf, Späths Kaltstellung. Umweltthemen fehlten, aber auch U-Boote, Giftgasfabriken und Atombombenzubehör, die während Kohls Regentschaft an die Diktatoren aller Länder verteilt wurden. Und wer errinnert Kohl eigentlich mal an die Situation vor einem Jahr? Damals befand sich seine Popularität im historischen Tief. Niemals zuvor war ein Kanzler derart abgesackt. Der Fall der Mauer hat ihn mühelos aufgerichtet.

Daß dem Kanzler sieben Minuten mehr Sendezeit gegönnt wurden, hat Lafontaine durch seine rhetorische Geschwindigkeit mühelos ausgeglichen. Trotzdem bleibt es unprofessionell und: typisch.

Fazit: Lafontaine brillierte rhetorisch und enttäuschte inhaltlich. Kohl wird langsam richtig süß. Manfred Kriener