Pavel Kohouts Entsagung

Pavel Kohout, tschechischer Dramatiker, Romancier und (auch für die taz tätiger) Essayist mit europäischem Namen, hat es abgelehnt, der CSFR als Diplomat oder Minister zu dienen. Kohout teilte diese Entscheidung auf einer Pressekonferenz vergangenen Freitag in Wien mit, wo er seinen neuen Roman Ende der großen Ferien vorstellte. Er habe das Angebot der tschechoslowakischen Regierung ausgeschlagen, weil andere diese Arbeit genauso gut machen könnten, weil er seinen Roman habe zu Ende bringen wollen und — seiner kommunistischen Vergangenheit wegen. Wer sich einmal so geirrt habe wie er, sei in einer hohen Funktion „kein guter Ratgeber“.

Pavel Kohout, heute 62 Jahre alt, war in den vierziger und fünfziger Jahren ein vom realsozialistischen Kulturbetrieb gehätschelter Nachwuchsstar. Er hatte als junger Kommunist den Putsch des Februar 1948 ebenso gutgeheißen wie die Schauprozesse der frühen fünfziger Jahre, mittels derer ein Gutteil der kommunistischen Vorkriegsführung unter die Erde gebracht wurde. In dem Maße aber, in dem das Publikum an seinen scharfsinnigen und witzigen Arbeiten, vor allem den Komödien, Gefallen fand, sank seine Reputation als Staatskünstler. In den sechziger Jahren war er einer der Wegbereiter liberaler Kulturpolitik, nahm an dem legendären Schriftstellerkongreß von 1967 teil und unterstützte 1968 den Prager Frühling „in vorderster Linie“.

„Nicht ich habe Stalin verraten, sondern Stalin mich“, war ein Bonmot, das man schon damals von ihm hören konnte. Kohout war allerdings weit davon entfernt, zum Apologeten seiner Vergangenheit zu werden. In seinem Tagebuch eines Konterrevolutionärs, einen kunstvollen Montage verschiedener Zeitebenen von 1945 bis 1970, hat er die Begeisterung wie den Stumpfsinn seines Engagements ohne viel Rücksichtnahme auf die eigene Person aufgedeckt. Die Jahre der Normalisierung nach der sowjetischen Okkupation verbrachte das Ehepaar Kohout mit einem ebenso mutigen wie erfolglosen Kleinkrieg gegen die Staatsmacht, die sie observierte, schikanierte, mit Berufsverbot belegte, mit dem Tod bedrohte und schließlich gewaltsam aus dem Land zwang. In seinem Roman Wo der Hund begraben liegt, von dem mittlerweile in der CSFR 100.000 Exemplare verkauft worden sind, hat Kohout die schreckliche Geschichte dieser Jahre erzählt.

Pavel Kohout ist einer der wenigen, die sich mit dem Appeasementkurs der westlichen, insbesondere der westdeutschen Regierungen gegenüber den realsozialistischen Machteliten anlegten. Er ist gewitzt im Umgang mit den hiesigen Mächtigen, wäre also seinem Land als Botschafter oder in beratender Funktion gerade heute von großem Nutzen. So ehrenwert die Motive seiner Weigerung sind — sie fügen sich doch unbeabsichtigt in den antikommunistischen Chor, der immer penetranter aus der CSFR zu uns herüberschallt. Schon ergeht an Leute wie den Außenminister Jiri Dienstbier, einen der Gründer der Charta 77, die Aufforderung, politisch das Feld zu räumen, weil er 1968 Mitglied der kommunistischen Partei gewesen sei. Schon versuchen Leute wie der jetzige Vorsitzende des Bürgerforums, Finanzminister Václav Klaus, (der sich noch Januar 1989 weigerte, eine Resolution für die Freilassung Havels zu unterzeichnen), linke Gruppen aus dem Bürgerforum zu drängen. Vielleicht wäre es an der Zeit, für die Weigerung, ein Staatsamt zu übernehmen, die Begründung zu wechseln. Christian Semler