Mazedonien: Hysterie nach Wahl

Nach der jugoslawischen Presse sollen Albaner die Wahlen verfälscht haben/ Vor Ort ergibt sich ein anderes Bild: Die Wahlen waren auch nach Aussagen des Hauptwahlleiters korrekt  ■ Aus Tetovo Erich Rathfelder

Mazedonien ist ein karges Land. Die Wiesen sind von der Sommerhitze verbrannt, Nebel und kalter Wind lassen einen harten Winter ahnen. Von der Hauptstadt Skopje kommend, windet sich die Straße über einen Paß, vorbei an Dörfern, die mit ihren Minaretten schon ein wenig die Welt des Orients vorwegnehmen, nach Tetovo, der zweitgrößten Stadt des Landes, wo vor allem Albaner wohnen.

Die friedliche Stimmung trügt. Zwischen Mazedoniern und Albanern ist nach den ersten freien Wahlen des letzten Sonntag die Atmosphäre vergiftet. Die nationalistischen Parteien der Mazedonier haben in den letzten Tagen die Annullierung der Wahlen, deren Ergebnisse immer noch ausstehen, in einigen Wahlbezirken mit albanischer Mehrheit durchgesetzt. Denn viele Albaner sollen dort zweifach oder sogar mehrfach gewählt haben. „Diese Analphabeten haben uns betrogen“, hallt es aus dem jugoslawischen Blätterwald. Die albanischen Wahlkommissionen seien allesamt korrupt.

Im albanischen Viertel Tetovos, wo 140.000 der 200.000 Einwohner leben, quillt das Leben über. Marktschreier bieten ihre Waren an, Autos drücken sich hupend durch die Gassen. Die für albanische Häuser typischen Mauern und Toreinfahrten, die den Hof vor den neugierigen Blicken der Passanten abschirmen, muten jedoch seltsam an. „Sehen Sie, diese Türen mußten oben abgesägt und die Mauern um einen Meter abgetragen werden. Das war noch vor einem halben Jahr Gesetz. Die Behörden wollten, daß jeder reinsehen kann.“

Die siebzehnjährige Gymnasiastin gibt in exzellentem Englisch Auskunft; sie spricht neben albanisch auch noch serbo-kroatisch und türkisch. „Wir Anaphabeten?“, empört sie sich, „sehen Sie meinen kleinen Bruder dort, der lernt mit seinen elf Jahren in der Koranschule arabisch“. „Wir jungen Menschen möchten nach Europa,“ sagt sie, selbst keineswegs eine Kopftuchfrau. „Auch Frauengruppen gibt es hier.“ Mit den Eltern gebe es hin und wieder Krach, weil die sie immer im Haus halten wollten. Doch sie werde dennoch in Pristina, der Hauptstadt Kosovos, studieren.

In einem kleinen Laden liegt das Büro der „Partei der demokratischen Prosperität“, die stärkste der albanischen Parteien, die hier ihre Hochburg hat.

Die Stimmung ist gedrückt. Die dauernden Anschuldigungen, bei den ersten Wahlen im Lande als Betrüger dazustehen, zehrt an den Nerven der meisten Anwesenden. Nevzad Halili, der 45jährige Vorsitzende der Partei, ist müde geworden. Etwas Resignation schwingt in seiner Stimme mit, als er nochmals wiederholt: „Es gab keine Möglichkeit des Wahlbetrugs. Nur wer in den Wahllisten eingetragen war oder seinen Ausweis vorlegte, konnte wählen.“ Im Gegenteil seien in den mehrheitlich albanischen Dörfern Urnen verschwunden. „Unter den Leitern der Wahlkommissionen, die noch von der letzten Regierung bestimmt sind, war kein einziger Albaner. Ich fordere für die Wiederholung der Wahlen internationale Überwachung.“ Mitglieder der örtlichen Wahlkommissionen, die seiner Partei angehörten, seien sogar von der Stimmenauszählung ausgeschlossen worden. Der oberste Wahleiter habe ihn nicht einmal empfangen.

Für Journalisten gilt diese Zurückhaltung nicht. Der oberste Wahlleiter der Republik Mazedonien, gleichzeitig oberster Verfassungsrichter, ist ein honoriger Mann. Mit entschiedener Geste weist er alle Spekulationen um einen Wahlbetrug zurück. „Die Wahlen sind korrekt verlaufen, auch die internationale Kommission und die Helsinki-Watch-Beobachter bestätigen das.“ Alle Ergebnisse, die in den Zeitungen stehen, seien Gerüchte. Offiziell habe er nur die Wahlbeteiligung von 80 Prozent bekanntgegeben.

Allerdings sei es in Westmazedonien (wo die Albaner leben) zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Einige örtliche Wahlkommissionen dort hätten daraufhin die Wahlen für ungültig erklärt und die Wahlzettel vernichtet. Nur sie konnten darüber entscheiden. Die zentrale Wahlkommission werde aber alle Fälle prüfen. Es habe wohl einzelne Wähler gegeben, die doppelt wählten, doch alle Wähler seien in eine Wahlliste eingetragen, Fälschungen sind deshalb mit Sicherheit aufdeckbar. „Die Betrüger“, so fügt er hinzu, „werden bestraft“.

Wendet sich doch noch alles zum Guten? Vielleicht legt sich wieder die Überraschung derer, die jahrelang die demographischen Daten frisierten und nun vor der Tatsache stehen, daß die Albaner doch eine große Minderheit im Lande sind, ihre Parteien bei den Wahlen sogar stärker als die der mazedonischen geworden wären. Für Donnerstag nachmittag, so klingt es aus dem Autoradio, ist eine Demonstration in Skopje angekündigt. Die mazedonischen Nationalisten fordern nun die Bestrafung all jener, die für die Wahlzulassung albanischer Parteien zuständig sind.