Netze spinnen wie einst Penelope

Osteuropäerinnen warnen davor, daß Frauen Opfer der Rüstungskonversion werden /Ost- und Westeuropäerinnen wollen männlichen Schulterschluß bei „Sicherheitspolitik“ durchbrechen  ■ Aus Berlin Dorothea Hahn

Wenn die Aufbruchstimmung anhält, könnte das Ende des Kalten Krieges zugleich auch das Ende des Ausschlusses von Frauen aus der „Sicherheitsdebatte“ sein: Aktiver als bislang wollen sie in bereits existierende „Sicherheitsstrukturen“ eingreifen, andere abschaffen und neue — eigene — aufbauen. Das meistumschwärmte Gremium ist dabei die KSZE — das bestgehaßte ist das „nordatlantische Bündnis“, die Nato (auch wenn gelegentlich die Hoffnung mitschwingt, daß die waffenstarrende Allianz sich „mit der Zeit“ doch noch in ein politisches Gremium verwandeln möge“). Mißtrauen hegen die Frauen, die auf der Berliner KSZE der Frauen alternative Friedens- und Sicherheitskonzepte erörterten, aber auch gegen die Abrüstungsbereitschaft sämtlicher nationaler Militärapparate.

Dem KSZE-Gipfel des „männlichen Schulterschlusses“ in Paris werden sie einen ebenso umfassenden wie optimistischen Forderungskatalog überreichen. Sie verlangen nichts weniger als ein sofortiges Verbot aller Waffenexporte aus KSZE- Ländern, Atomteststopps, ein Ende von Rüstungsforschung und -entwicklung, die Verwandlung von Rüstungs- in Friedensindustrie („Konversion“), gemeinsame Konfliktlösungsstrategien und die Beteiligung von Frauen an diesem Prozeß — um nur einige Punkte zu nennen.

Rüstungskonversion zu Lasten der Frauen

Bei aller Euphorie bestimmten in „Korb II — Sicherheit, Abrüstung, Zusammenarbeit“, wie sich die Arbeitsgruppe in Anlehnung an das partriarchalische Vorbild nannte, jedoch die Realpolitikerinnen das Bild. Besonders Frauen aus Osteuropa warnten vor der Illusion, die Ost- West-Annäherung könne weiterhin in dem Tempo des Mauerbruchs voranschreiten. Im Gegenteil: Die anstehenden Abrüstungsschritte — Raketen verschrotten, Soldaten ins Zivilleben schicken und RüstungsarbeiterInnen „konvertieren“ — werden allesamt von sehr konkreten Interessen gebremst — auch von Frauen, wie Tatjana S. Gustchina, vom Friedensforschungsinstitut der Moskauer Akademie der Wissenschaften besonders deutlich machte.

In einem Land wie der Sowjetunion, das, so Gustchina, 60 Prozent seines Haushaltes für Verteidigungszwecke ausgegeben habe, leben Millionen Menschen von dem Geschäft mit dem Krieg. Frauen sind auch in der Rüstungsbranche am untersten Ende der Hierarchie, als schlecht ausgebildete und schlecht bezahlte Rüstungsarbeiterinnen. „Das ist auch der Grund“, erklärte Gustchina beinahe entschuldigend, daß die sowjetischen Frauen, „zwar für Abrüstung sind, aber eben nicht so engagiert wie in Westeuropa“. Skeptisch auch die finnische Friedensforscherin Helena Tuomi, die seit 20 Jahren vor allem in kirchlichen Abrüstungsgruppen aktiv ist. Selbst die flexiblere, marktwirtschafterprobte Rüstungsindustrie im Westen sei nicht ohne weiteres in der Lage, auf friedliche Produkte umzustellen. Sie nennt als Beispiel einen gescheiterten Versuch, Milchpumpen statt Raketen herzustellen: „Da wußten die hochspezialisierten Experten nicht weiter.“ In der bürokratisch versteinerten sowjetischen Rüstungsindustrie seien die Widerstände gegen eine Konversion noch stärker.

Trotz aller Zweifel sprachen die meisten Teilnehmerinnen für eine Unterstützung des KSZE-Prozesses als Hauptort europäischer Sicherheitspolitik. Die französische grüne Abgeordnete im Europaparlament, Solange Fernex, schwärmte: „Die Menschenrechtstradition der KSZE ist die Garantie für echte Friedenspolitik.“ Als KSZE-Ergänzung sollten die Frauen, wie einst Penelope, ein „feines und festes Netz“ von Verbindungen weben, auf das sie sich in jeder Situation verlassen könnten, schlug Gustchina vor.

Eine Fortsetzung alter Politik mit neuen Mitteln sieht hingegen die Berliner Wissenschaftlerin Astrid Albrecht-Heide in der KSZE. Sie stellt fest, daß die Tendenz auf neue „Mega-Staaten“ mit „Mega-Armeen“ hinausläuft, die letztlich das „klassische europäische Dominanzdenken auf einer qualitativ neuen Ebene“ sei. Wenn Rüstung in Europa abnehme, zugleich die Sicherheitspolitik aber stärker koordiniert würde, führe das „nicht zwangsläufig zu mehr Friedensfähigkeit“.