Die neue Offenheit des Verfassungsschutzes

Warum sich der Berliner Verfassungsschutz im Falle „La Belle“ zu Unrecht beschuldigt fühlt/ Bei einem Gespräch in den heiligen Hallen des Landesamtes decken die Verfassungsschützer die Karten auf/ Für Fahndungspannen sei die Polizei verantwortlich  ■ Aus Berlin Jürgen Gottschlich

Das, so versichert der Sprecher des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, Werner Kruschke, mehrfach, das hätte es früher sicher nicht gegeben. Ein Novum in der Geschichte des Amtes, um die, nach der schier unendlichen Kette von Skandalen, versprochene Transparenz deutlich zu machen. Dabei war das „so ganz Neue“ im Ablauf völlig unspektakulär.

Nachdem die taz in mehreren Berichten auf eine mögliche Verwicklung des Amtes in das Attentat auf die Berliner Diskothek „La Belle“ verwiesen hatte, entschloß man sich in der Clay-Allee zur medienpolitischen Offensive: Statt weiter zu mauern, „wie wir das früher getan hätten“, wurde die taz zu einem Ortstermin eingeladen, um die „doch etwas dürre Erklärung“ des Berliner Innensenators mit den Erkenntnissen des Hauses anzureichern.

Während der Innensenator lediglich verlautbaren ließ, der Verfassungsschutz habe „zu keiner Zeit Informationen über einen bevorstehenden Anschlag auf die Diskothek besessen und auch der Polizei keine Informationen vorenthalten“, mußte der verantwortliche Abteilungsleiter für den Bereich „Extremismus“, Lothar Jachmann, dann doch eingestehen, daß die Sache „etwas komplexer ist“.

Tatsächlich bestreitet das Landesamt nicht, in der Zeit vor dem Attentat am 5. April 1986 im Umfeld des libyschen Volksbüros in Ost-Berlin einen Informanten gehabt zu haben. Es wird auch nicht ernsthaft bestritten, daß dieser Informant genau jener Mohamed Ashur war, der drei Wochen nach dem Anschlag auf die Diskothek in Ost-Berlin — vermutlich von anderen Libyern — ermordet wurde. Doch Ashur, so Lothar Jachmann, war nicht „Alba“. „Alba“ ist der Deckname jenes Spitzels, der die Stasi über die libyschen Aktivitäten auf dem laufenden hielt und von dem die Stasi annahm, daß er auch einen westlichen Nachrichtendienst belieferte. Nach Angaben von Jachmann ist der in Sachen „La Belle“ ermittelnden Staatsanwaltschaft „Alba“ mittlerweile bekannt — die Quelle des Verfassungsschutzes hätte zu „La Belle“ jedoch nie mit Informationen aufwarten können. Warum wurde Ashur dann ermordet? Die Libyer hätten eben nach einer undichten Stelle gesucht, aber den Falschen getroffen.

Auch der Vorwurf, der Verfassungsschutz hätte im Vorfeld des Attentats Informationen über den mutmaßlichen Drahtzieher des Terrorakts zurückgehalten, träfe nicht zu. Nach Informationen der taz hat sich der nun als Hauptbeschuldigter gesuchte staatenlose Palästinenser Jassir Chraidi in den Monaten, bevor im „La Belle“ die Bombe hochging, mehrmals unter einem Decknamen, der dem Verfassungsschutz bekannt war, in West-Berlin aufgehalten. Obwohl nach Chraidi wegen eines Mordverdachts bereits seit Sommer 1984 gefahndet wurde, gelangte er regelmäßig unbehelligt wieder nach Ost-Berlin. Für diese Fahndungspanne macht der Verfassungsschutz allerdings die Polizei verantwortlich. Das Amt hätte zwar im Sommer 1985 von alliierter Seite einen Hinweis bekommen, daß offenbar ein Mitarbeiter des libyschen Volksbüros aus Ost-Berlin mit Papieren auf den Namen Jussuf Salam oder Selam im Westen ein- und ausreise. Doch erst im Februar 1986 sei es dann gelungen, diesen Decknamen mit Jassir Chraidi in Verbindung zu bringen. Über diese Vermutung habe der Verfassungsschutz die Polizei umgehend informiert. Zwei Wochen nach dem Attentat und unmittelbar nach dem amerikanischen Luftangriff auf Libyen hätte dann ein Informant des Amtes Chraidi in Ost-Berlin identifiziert und die Nummer des Autos, das Chraidi benutzte, durchgeben können. Anhand dieser Nummer habe man später festgestellt, daß dieses Auto in der Zeit von Januar bis April 1986 insgesamt 16mal die innerstädtische Sektorengrenze passiert habe. Mindestens einmal, wahrscheinlich aber öfter, saß Jassir Chraidi selbst im Wagen. Daß er trotz der Hinweise auf seinen Decknamen nicht festgenommen wurde, könne man dem Verfassungsschutz jedoch nicht zum Vorwurf machen.

An einem Punkt mußte trotz der neuen Offenheit das Amt jedoch völlig passen. Woher, wenn nicht von ihnen, wußten die Amerikaner dann so genau, daß für den Anschlag auf die Diskothek eine aus Libyen gesteuerte Gruppe verantwortlich war? Ja, daß wüßte man in der Clay-Allee selbst ganz gerne. Doch „die Amerikaner wollten zwar immer gerne bei uns bedienen. Umgekehrt ist aber nie etwas gekommen.“