Frauen-Zimmer im europäischen Haus

Die erste „KSZE der Frauen“ in Berlin/ Umfangreiche Forderungen zur paritätischen Beteiligung von Frauen am KSZE-Prozeß/ Großer Bedarf an gegenseitigem Austausch und Vernetzung  ■ Aus Berlin Helga Lukoschat

In den Konferenzpausen erfüllte ein Summen die Räume, aus den Stimmen all dieser Frauen, die da miteinander redeten, schnell und erregt, als dürfte keine Minute der kostbaren Zeit verloren gehen. Sich austauschen, sprechen, endlich zu Wort kommen. Für die Frauen aus Osteuropa und der Sowjetunion war dies vielleicht das Wichtigtes an der ersten „KSZE der Frauen“ in Berlin, die gestern nach drei Tagen intensiven Diskutierens zu Ende ging.

Das Berliner Treffen mit über 350 Teilnehmerinnen aus fast allen europäischen Ländern sowie den USA stellte einen Anfang dar, einen ersten Versuch, Frauen an der vielbeschworenen „europäischen Integration“ mit all ihren Problemen und Ungleichgewichten zwischen Ost und West endlich zu beteiligen. Harsch kritisierte Gastgeberin Anne Klein, Frauensenatorin des rot-grünen Senats, in ihrer Eröffnungsrede den „patriarchal geprägten und dominierten KSZE-Prozeß“. Frauen würden, wenn überhaupt, nur in Abhängigkeit und in Unterordnung zu Männern beschrieben: „Dies ist mehr als ein oberflächlicher Schönheitsfehler, es ist Ausdruck eines strukturellen Defizits.“

Aber ob und wie die „KSZE der Frauen“ dieses Defizit zukünftig aufheben wird, ist noch eine offene Frage. Zunächst soll die Proklamation der Konferenz mit ihren Forderungen nach einer paritätischen Beteiligung von Frauen am KSZE-Prozeß, der Präzisierung und Erweiterung von Frauenrechten und einer umfassenden Friedens- und Ökologiepolitik auf dem am Montag in Paris beginnenden KSZE-Gipfel eingebracht werden. Anne Klein, die sich auf den Weg nach Frankreich machen wird, ist die direkte Teilnahme am Gipfel allerdings verwehrt — dies bleibt den Ministerpräsidenten (und wenigen -präsidentinnen) vorbehalten. Vor allem eine Folgekonferenz zu Berlin wollen die Frauen auf den Weg bringen, möglichst noch vor der Menschenrechtskonferenz im Sommer 91 in Moskau. Wer diese ausrichten könnte? Anne Klein denkt da unter anderem an die norwegische Ministerpräsidentin Gro Brundtland. Offen ist ferner, wie die KSZE der Frauen, so sie denn eine feste Institution werden sollte, sich künftig zusammensetzen und legitimieren wird. Denn dieses erste Treffen basierte lediglich auf der Einladungspolitik der rot-grünen Frauensenatorin und ihres Mitarbeiterinnenstabes. Auf der Folgekonferenz sollen Regierungsvertreterinnen und Vertreterinnen unabhängiger Organisationen paritätisch beteiligt sein. Neben dem Anliegen, die KSZE mit den Stimmen der Frauen auszustatten und, vergleichbar zu den Zielen der „Helsinki Bürgerversammlung“, die europäische Politik zu demokratisieren, beherrschte die „KSZE der Frauen“ die inhaltliche Diskussion entlang der drei „Körbe“ Menschenrechte/Bürgerrechte/Frauenrechte, Sicherheit/Abrüstung/Zusammenarbeit und Ökonomie/Ökologie.

Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung

Im Bereich Frauenrechte kristallisierten sich drei zentrale Bereiche heraus: Gewalt gegen Frauen soll in all ihren Formen als Menschenrechtsverletzung betrachtet werden. Gerade in den Ländern Osteuropas, wo die alltägliche Männergewalt, wie sexueller Mißbrauch, Mißhandlung und Vergewaltigung in der Ehe, weitgehend tabuisiert ist, so hieß es in den Diskussionen immer wieder, sei es immens wichtig, diesen Bereich aus der „Sphäre des Privaten“ herauszuholen und zu einem Gegenstand der Politik zu machen. In Polen zum Beispiel gibt es kein einziges Frauenhaus, in dem geschlagene Frauen Zuflucht suchen könnten, keinen einzigen Notruf für Vergewaltigungsopfer. In der krisenhaften Umbruchsituation, die von allen Teilnehmerinnen aus Osteuropa beschrieben wurde, entladen sich die Spannungen nicht nur an den ethnischen oder religiösen Minderheiten, wie zum Beispiel an den Roma und Sinti, sondern auch an Frauen. In Bulgarien gründete sich eine Selbsthilfeorganisation „Mütter gegen Gewalt“ als Reaktion auf die zunehmende Brutalisierung der Gesellschaft.

Ein weiterer wichtiger Punkt im Bereich Frauenrechte bezog sich auf das Recht der Frauen, über die Fortsetzung oder Unterbrechung einer Schwangerschaft selbst entscheiden zu können, auf gesundheitsschonende Verhütungsmittel und Aufklärung. Bessere Rechte für Migrantinnen, Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund, Erweiterung der Kriterien, nach denen Menschen als Flüchtlinge anerkannt werden, bildeten einen weiteren, nahezu unumstrittenen Schwerpunkt des Forderungskatalogs. Eine grundsätzlichere Kontroverse tat sich allerdings bei der Frage der religiösen Freiheiten auf: Einige westdeutsche Feministinnen wollten hier aufnehmen, daß die Religionsausübung dort eingeschränkt werden könne, wo Frauenrechte berührt seien — als eine Art Abwehrmechanismus gegenüber frauenfeindlichen Fundamentalismen. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen wollte sich darauf nicht einlassen und entschied sich für Vertagung dieser Diskussion. Unterschiedliche Vorstellungen gab es nicht zuletzt im Korb „Sicherheit und Abrüstung“, hier insbesondere die Rolle der KSZE für eine tatsächliche Friedenspolitik (siehe unten).

Den umfassendsten Forderungskatalog — von einem Grundeinkommen für alle, einem sozial-ökologischen Förderungsfonds für die osteuropäischen Staaten bis zur Konversion ökologisch bedenklicher Industrien — entwickelten die Frauen im Bereich Ökonomie/Ökologie. Denn hier, so erklärten die Teilnehmerinnen vor allem aus Osteuropa eindringlich, fast beschwörend, sind die Probleme am größten und dringlichsten.

Wohin wird sich die KSZE der Frauen entwickeln? Die Probleme im Umgang miteinander, die Fremdheit, die viele Osteuropäerinnen zu dem Lebens- und Diskussionsstil der westlichen Feministinnen empfanden und in vielen Gesprächen „am Rande“ artikulierten, wird sich nicht per Forderung aufheben, ebensowenig wie die Interessensgegensätze von Frauen verschiedener Nationalitäten, die bei dieser Konferenz allerdings nicht zur Sprache kommen sollten. Und nicht zuletzt fast das schwierigste Problem: Wie wird sich die Hinwendung zu Europa mit der Solidarität zu den Frauen der Dritten Welt vereinbaren lassen?