Räumt die AL das Rathaus?

■ Für die Alternative Liste ist das Maß voll. Nach der von Innensenator Pätzold angeordneten und von Momper gedeckten Räumung der besetzten Häuser will sie aus der Koalition mit der SPD aussteigen

Es stand wieder einmal alles auf der Kippe in Berlin: Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Hausbesetzern in den vergangenen Tagen stand die rot- grüne Koalition wieder einmal, wenige Wochen vor der Wahl am 2. Dezember, vor dem Bruch. Bereits am Mittwoch abend deutete alles darauf hin, daß die Alternative Liste (AL) diesmal den endgültigen Schlußstrich unter die lange Streit-Ehe setzen würde.

In einer Sondersitzung des AL- Delegiertenrates am Mittwoch abend war fast einstimmig beschlossen worden, aus der Koalition auszusteigen. Und gestern morgen erweckten sowohl der Regierende Bürgermeister Walter Momper als auch die AL-Fraktionsvorsitzende Renate Künast den Eindruck, als ob bereits alles gelaufen sei. Die Presse wurde für 15.00 Uhr alarmiert — zu diesem Zeitpunkt wollte die AL nach einer Sitzung hinter geschlossenen Türen, zu der auch eigens Grünen-Bundesvorstandssprecher Christian Ströbele nach Berlin gereist war, eine Entscheidung getroffen haben.

Während die zahlreich versammelten Jorunalisten bereits ihre Abgesänge auf die schon mehrfach totgesagte Koalition verfaßten, debattierten die Fraktion, die drei Al-Senatorinnen und der Vorstand der Partei über die Konsequenzen des Polizeieinsatzes in der Ostberliner Mainzer Straße. Der Hauptkritikpunkt der Alternativen war bereits am Vortag gewesen, daß von seiten der Senatsspitze keinerlei Versuch unternommen worden sei, eine politische Lösung des Konflikts herbeizuführen und sie damit von den in Koalitionsvereinbarungen ausgehandelten Deeskalationsprinzip abgerückt sei.

Zusätzlich erbost war die AL darüber, daß die Sozialdemokraten es nicht einmal für nötig befunden hatten, die AL von der schon länger geplanten Räumung von drei Häusern zu informieren, die dann die schweren Auseindandersetzungen ausgelöst hatten. Als „eine Frage der Ressortzuständigkeit“ hatte der Regierende salopp diesen Vorwurf abgetan und der AL ihrerseits vorgeworfen, sich nicht von den Gewalttätern zu distanzieren.

Es kam, wie es kommen mußte: Die Sitzung der Alternativen zog sich, wie an anderen zahlreichen Krisentagen im vergangenen Sommer auch, in die Länge, und dauerte bei Redaktionsschluß noch an — ohne daß eine Entscheidung bekannt geworden war. Kontrovers diskutiert wurden drei Positionen: die der Fraktionsvorsitzenden, die für den Ausstieg war, die des Oberrealo Bernd Köppl, der an der Koalition festhalten wollte, und eine AL-typische Zwischenposition, die die SPD auffordert, endlich Unterhändler einzusetzen. Der Regierende selbst zeigte sich, umlagert von einem ungeduldigen Journalistenpulk, gelassen: die AL müsse endlich zu sich selbst finden.

Momper warf dem Partner seinerseits vor, sich von den Koalitionsvereinbarungen entfernt zu haben. „Die SPD macht unverändert selbstbewußt weiter“, kündigte Momper an, obwohl er ein Ende von rot-grün bedauern würde. Sollte die Koalition doch noch platzen, war die SPD-Linie bereits klar: Man wirft der AL vor, sich mit Gewalttätern zu solidarisieren und trifft damit genau den wunden Punkt der AL-Argumentation, die sich in ihrer Kritik auf das Vorgehen der Polizei kapriziert hatte.

Bis zu den Wahlen am 2. Dezember kann Momper ohne Schmerzen mit einem Minderheitskabinett regieren, ohne in der Öffentlichkeit als schwach dazustehen. Bei einem Bruch ist allerdings der Weg geebneet für eine Große Koalition. Denn trotz des unsicheren Wahlausgangs wird keine der großen Parteien allein regieren können. Zumindest Teile des rechten Parteiflügels halten das in der schwierigen Situation nach der Vereinigung für politisch wünschenswert.

Daß die SPD den Partner vorab nicht über die geplanten Räumungen informierte, weist darauf hin, daß ein Bruch zumindest bewußt in Kauf genommen wurde. Kein Koalitionspartner ließe sich so etwas gefallen. Das innenpolitische Klima ist seit Montag in der Stadt ohnehin aufgeheizt wie seit Jahren nicht mehr und würde unter einer Großen Koalition weiter angeheizt werden. Spannend wäre dann nur noch die Frage, wer die stärkste Partei und damit den Bürgermeister stellen würde. „Berlin gelingt's“, plakatiert die SPD im Wahlkampf — fragt sich nur, was... Gestern war wieder einmal alles offen in Berlin. Kordula Doerfler