Berlin: Aus für rot-grüne Koalition
: Die AL räumt das Rathaus

■ Für die Alternative Liste war das Maß voll. Nach der von Innensenator Pätzold angeordneten und von Momper gedeckten Räumung der besetzten Häuser stieg sie gestern aus der Koalition mit der SPD aus.

Betrübt wirkte er nicht gerade, der Regierende Bürgermeister von Berlin. Noch während der kleinere Koalitionspartner Alternative Liste gestern nachmittag hinter verschlossenen Türen über die Fortführung des rot-grünen Bündnisses beriet, hatte die SPD-Spitze bereits die Linie gefunden, mit der die eigene Partei unangefochten aus dem Bruch davonkommen sollte. „Die SPD wird so selbstbewußt weiterregieren wie bisher“, erklärte Walter Momper vorab, noch ehe eine endgültige Entscheidung des Partners veröffentlicht worden war. Die AL, so werfen ihr Regierungschef und Fraktionschef Staffelt vor, habe sich nicht von den Gewalttaten während der Auseinandersetzungen in Ost- Berlin distanziert. Sie verstoße damit eindeutig gegen die Koalitionsvereinbarungen. Damit hat die SPD in der Tat den wunden Punkt in der Argumentation der Alternativen gefunden, die sich in ihrer Kritik bisher nur in aller Schärfe gegen die massiven Polizeieinsätze richtete.

Für die AL gab es nach vorhergehenden informellen Beratungen fast kein Zurück mehr: Am Dienstag abend hatte sich der Delegierten-Rat einstimmig dafür ausgesprochen, die Koalition mit den Sozialdemokraten zu beenden. Und gestern morgen ließ die AL-Fraktionsvorsitzende Renate Künast bereits über Rundfunk verbreiten, sie habe keine Probleme mit einem Ausstieg. Schwierig gestaltete sich lediglich noch die genaue Formulierung für die Begründung. Selbst die Anhänger des realpolitischen Kurses waren nach den Polizeieinsätzen der Vortage zu der Ansicht gelangt, daß die SPD mit ihrem Vorgehen die zwischen beiden Parteien ausgehandelte Deeskalationsstrategie verlassen habe und keinerlei Versuch unternommen habe, das Hausbesetzerproblem politisch zu lösen. Gestern abend wurde schließlich, nach stundenlangen Beratungen, die Entscheidung bekannt: Mit großer Mehrheit entschieden sich Fraktion und Parteivorstand, die Koalition für beendet zu erklären und die drei AL-Senatorinnen zum Rücktritt aufzufordern. Vor der Presse erklärte Schulsenatorin Sybille Volkholz, daß alle drei am Montag ihre Rücktrittsschreiben einreichen werden. Zur Begründung für den Schritt erklärte die AL-Fraktionsvorsitzende Renate Künast, die AL könne die Abkehr von der Deeskalationsstrategie nicht hinnehmen. Die Entscheidung sei aber nicht nur aufgrund der letzten drei Tage, sondern aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate gefallen.

Die längste rot-grüne Koalition, die unter Schmerzen ins Leben gerufen wurde und sich seit kurz vor Weihnachten letzten Jahres von einer Krise zur nächsten schleppte, ist damit endgültig zu Ende — und wird aller Voraussicht nach auch in der nächsten Legislaturperiode keine Come-back erleben. Zu schlecht ist das Klima zwischen den Partnern, zu sehr gehen die politischen Prinzipien auseinander. Die SPD hat mit ihrem Verhalten der letzten Tage den Weg geebnet für eine große Koalition, den mindestens der rechte Flügel der Partei für die geeignete Antwort auf die schwierige Situation nach der Vereinigung hält. Knapp drei Wochen vor der Wahl den Partner nicht über innenpolitische Entscheidungen solcher Tragweite zu informieren, legt den Schluß nahe, daß der Bruch gewollt war und in Kauf genommen wurde — obwohl der verantwortliche Innensenator Erich Pätzold als Anhänger der rot-grünen Koalition gilt und sich gestern nachmittag erneut für ein solches Bündnis aussprach. Kurz vor der Wahl hält die SPD den Schaden offenbar für begrenzbar und hofft auf einen Stimmenzuwachs aus dem Law-and-Order-Lager. Bis zur Neuwahl der Regierung, die vermutlich im Januar ihr Amt antreten wird, wird die SPD als Minderheitsregierung amtieren. Von Ostberliner Seite aus, wo das polizeiliche Vorgehen durchaus hinter verborgener Hand getadelt wird, hört man von den Sozialdemokraten kein kritisches Wort. Schließlich möchte man nach den Wahlen vielleicht noch den einen oder anderen Posten ergattern.

Berlin steuert nun nach den Wahlen steil auf eine große Koalition zu. Denn nach allem, was sich vorhersagen läßt, wird keine der beiden großen Parteien allein regieren können. Spannend bleibt lediglich noch die Frage, wer stärkste Partei wird und den Regierenden Bürgermeister stellt. Das innenpolitische Klima in der Stadt, das seit der Randale schon enorm angespannt ist, wird sich weiter aufheizen. Ob's Berlin gelingt — wie die Sozialdemokraten plakatieren? Kordula Doerfler